Besuch schweizerischer Drogenfachleute in Estland

Artikel, 28.09.2010

Vom 13. bis zum 15. September 2010 besuchten schweizerische Drogenfachleute aus den Bereichen Forschung, Medizin, Psychiatrie und Strafvollzug Estland. Begleitet und koordiniert wurde dieser Besuch vom estnischen Finanzministerium, dem schweizerischen Büro Erweiterungsbeitrag in Riga, der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA sowie dem Bundesamt für Gesundheit BAG.

Fachtagung zum Thema Drogenpolitik in Tallinn
Am zweiten Tag fand in Tallinn eine Fachtagung zum Thema Drogenpolitik statt. DEZA

Auf dem Programm standen die Besichtigung des Gefängnisses Viru in Jõhvi und eines Drogenrehabilitationszentrums in Sillamäe, eine Fachtagung in Tallinn sowie Gespräche mit dem Estnischen Justizministerium. Hintergrund dieser Mission ist ein Projektvorhaben, welches im Rahmen des schweizerisch-estnischen Zusammenarbeitsprogramms im Drogenbereich umgesetzt werden soll. Konkret geht es dabei darum, drogenabhängigen Strafgefangenen unter gewissen Voraussetzungen die Möglichkeit zu bieten, anstelle ihrer Gefängnisstrafe eine mehrmonatige Drogentherapie zu absolvieren. Das Projektvorhaben steht zurzeit in der ersten Genehmigungsphase. Die grössten Drogenprobleme des Landes sind vor allem im Grossraum Tallinn (Harju) sowie in Nordostestland (Ida-Viru) zu verzeichnen.

Am ersten Tag besuchte die Expertengruppe das Gefängnis Viru in Jõhvi im Nordosten Estlands. Dieses Gefängnis beherbergt nahezu 1000 Gefangene und wurde im Jahr 2008 eröffnet. Es ist eines von heute fünf Gefängnissen in Estland. Längerfristig ist geplant, dass nur noch drei grosse Gefängnisse betrieben werden, konkret die zwei bereits bestehenden Gefängnisse Viru und Tartu sowie die in Planung befindliche Strafvollzugsanstalt in Tallinn. Das Gefängnis Viru umfasst unter anderem zwei spezielle Abteilungen für Drogendelinquenten – je eine für Jugendliche und eine für Erwachsene –, in welchen spezifisch auf Suchtprobleme der Strafgefangenen eingegangen wird. Das Problem der Drogensucht ist im Gefängnis Viru offensichtlich: Etwa ein Viertel der Verurteilten ist drogensüchtig, etwa 75% der Gefangenen haben früher unregelmässig Opiate konsumiert. Die Expertengruppe besuchte im Gefängnis Viru vornehmlich die beiden Spezialabteilungen für Drogendelinquenten und verschaffte sich ein Bild über Tagesablauf und Situation der Strafgefangenen. Im Anschluss besuchte die Gruppe ein Drogenrehabilitationszentrum in Sillamäe in Nordostestland. Dort erkundigte sie sich über die in Umsetzung befindlichen Therapie- und Rehabilitationsmassnahmen und sprach mit den Mitarbeitern des Zentrums über deren Arbeit.

Am zweiten Tag fand in Tallinn eine Fachtagung zum Thema Drogenpolitik statt. Von estnischer Seite nahmen dabei Fachleute aus ganz Estland teil, unter anderem Vertreter von Sozial- und Justizministerium, Staatsanwaltschaften, Gefängnissen, Nichtregierungsorganisationen, Therapie- und Bewährungszentren sowie des Estnischen Psychiaterverbandes und der Estnischen Richtervereinigung. Von estnischer Seite wurden die rechtliche Lage in Estland sowie der Stand der Drogentherapie und –rehabilitation inner- und ausserhalb des Strafvollzuges vorgestellt. Die schweizerischen Experten vermittelten einen Überblick zur schweizerischen Drogenpolitik, welche seit den frühen 1990-er Jahren auf den vier Säulen Prävention, Therapie, Schadensminderung und Repression basiert, und gaben Einblicke zur Situation in schweizerischen Gefängnissen aus verschiedenen Perspektiven. Die einzelnen Vorträge wurden anschliessend im Plenum rege diskutiert.

Am dritten Tag wurden im kleineren Kreis die gewonnenen Erkenntnisse sowie das im Rahmen des schweizerischen Erweiterungsbeitrags vorgesehene Projektvorhaben mit dem Estnischen Justizministerium diskutiert. Gemäss aktueller Planung ist damit zu rechnen, dass mit der Umsetzung des Projekts im ersten Semester des nächsten Jahres begonnen werden kann.