Gemeindenahe Psychiatrie – Ambulante Therapie statt stationärer Aufenthalt

In Bosnien und Herzegowina unterstützt die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA seit 2009 einen vielversprechenden Ansatz zur Behandlung der weitverbreiteten psychischen Krankheiten. Statt Erkrankte in Anstalten einzuweisen, können diese ambulante Therapien in nahegelegenen Gemeindezentren besuchen, deren Dienstleistungen in Qualität und Umfang verbessert werden. Mit Erfolg. Nicht nur für die Erkrankten, sondern für alle Beteiligten.

Mann wandert gefolgt von einem Trüffelschwein durch eine Buschlandschaft.

Menschen mit psychischen Krankheiten finden Dank ambulanter Therapie und landwirtschaftlichen Gemeinschaftsprojekten wie hier die Trüffeljagd zurück in die Gesellschaft. © Armin Smailovic / DEZA

Munevera geht gerne ins Gemeindezentrum. Seit sie zweimal die Woche hingeht, hat sich ihre psychische Erkrankung stabilisiert. Vorher war ihre Erkrankung in einem steten Auf und Ab begriffen, sie wurde hospitalisiert, worauf sich ihre Situation verbesserte, aber nach der Entlassung ging es ihr jeweils zusehends schlechter, was dann irgendwann eine erneute Hospitalisierung nach sich zog. Insgesamt acht Mal wurde sie hospitalisiert. Das war vor ihrer Therapie im psychiatrischen Gemeindezentrum.

Die Situation in Bosnien und Herzegowina war schon vor der Coronakrise für viele Menschen schwierig. Die ältere Generation kämpft noch immer mit den psychischen Folgen des Krieges in den 90er-Jahren, viele leiden an posttraumatischem Stress. Aber auch die Jüngeren haben unter dem Trauma ihrer Eltern zu leiden. Hinzu kommt eine wirtschaftliche und politische Stagnation, die viele in die Migration zwingt. Muneveras Schwester lebt in Schweden, ihre Tochter in den Vereinigten Staaten. Psychische Erkrankungen sind verbreitet, Depressionen, Selbstmord und häusliche Gewalt an der Tagesordnung.

Älterer Mann sitzt alleine an einem Tisch in verdunkeltem Zimmer.
Einsamkeit und Gefühle des Verlassenseins sind oft Ursache für die Entwicklung psychischer Krankheiten. © Armin Smailovic / DEZA

Ambulante Therapie am Wohnort

Das staatliche Gesundheitssystem begegnet dem mit psychiatrischen Gemeindezentren, in denen die Menschen in ihrer eigenen Gemeinde ambulant Therapien besuchen können. Dieser vielversprechende Ansatz hat den Vorteil, dass Menschen über einen längeren Zeitraum begleitet werden können, ohne sie dabei ihrem sozialen Umfeld oder ihrem Erwerbsleben zu entreissen. Aber nicht nur Menschen mit psychischen Erkrankungen sollen erreicht werden, sondern auch ihre Familien und insbesondere Gefährdete, bei denen sich aufgrund einer schwierigen Situation eine Erkrankung entwickeln könnte. 

Eine Gruppe Betreuter probt in einem Raum Dramatherapie.
Therapien in der Gruppe wie hier die Dramatherapie steigern die eigene Akzeptanz der Krankheit und helfen das Leiden in Worte zu fassen. © Armin Smailovic / DEZA

Abbau sozialer Stigma

Leider besuchen viele Menschen die Gemeindezentren nicht oder erst spät. Das aus Angst, als «Verrückte» abgestempelt zu werden. Stigmatisierung und Diskriminierung abzubauen ist deshalb wesentliches Anliegen des Projekts, welches die Schweiz seit 2009 unterstützt. Erreicht wird das einerseits durch öffentliche Kampagnen, andererseits durch Gemeindeprojekte, durch die Menschen in das soziale Leben der Gemeinde zurückfinden.

Mann spricht vor Publikum.
Betroffene treten als öffentliche Sprecherinnen und Sprecher auf, erzählen ihre Geschichte und bekämpfen so weit verbreitete Vorurteile. © DEZA

Verbesserung der psychiatrischen Gesundheitsversorgung

Die Unterstützung der Schweiz will aber nicht nur Stigma abbauen, sondern Qualität und Umfang der gesundheitlichen Betreuung erhöhen. Dazu wird einerseits ein administrativer und regulatorischer Rahmen geschaffen, der die Arbeit in den Gemeindezentren optimiert und messbar macht. Konkret passiert das in 71 Gemeindezentren, von denen manche inzwischen nach europäischen Standards arbeiten. Andererseits wird die Qualität der Betreuung erhöht, indem man Pflegende, Therapeuten und Administrativpersonal ausbildet.

Absolventinnen und Absolventen einer Fortbildung.
Über 700 Personen arbeiten als Mitarbeitende in 71 Gesundheitszentren: Sie sind Nutzniesser von Fortbildungsmassnahmen im Bereich der psychiatrischen Betreuung. © DEZA

Ein Gewinn für alle Beteiligten

Dieser vielseitige Ansatz stützt also nicht nur Patienten, Angehörige und Gefährdete, sondern auch das Gesundheitspersonal und mit der Gesundheitsversorgung betraute Behörden. Entlang der Strategie der Schweiz zur internationalen Zusammenarbeit 2021‒2024 werden die Lebensumstände von Tausenden entweder direkt oder indirekt verbessert, Gründe für Migration gelindert.

Gruppe macht in einer Waldlichtung gemeinsam Musik.
In manchen Therapieformen wie hier der Musiktherapie treffen Menschen mit psychischen Krankheiten mit anderen Gemeindebewohnern zum Musizieren zusammen. © Armin Smailovic / DEZA

Die Schweiz verfolgt seit 2021 in der Entwicklung und Zusammenarbeit eine neue Strategie. Bosnien und Herzegowina ist eines der Schwerpunktländer der Strategie, die folgende vier thematische Schwerpunkte festlegt:

  • die Schaffung von menschenwürdigen Arbeitsplätzen vor Ort
  • der Kampf gegen den Klimawandel
  • die Reduktion der Ursachen von Flucht und irregulärer Migration
  • das Engagement für Rechtsstaatlichkeit

Strategie für für internationale Zusammenarbeit 2021‒2024 (IZA)

Die Zahlen sprechen für sich

Während 2017 noch 10% der in den Gemeindezentren Betreuten hospitalisiert werden mussten, waren es 2020 trotz Coronakrise nur noch 2%. Im selben Zeitraum wurden 1800 Jugendliche und 1000 ältere Menschen mittels innovativer Ansätze bezüglich Suchtproblemen und Depressionen behandelt. Insgesamt 83`000 Menschen profitieren von der verbesserten Gesundheitsversorgung, die durch 71 Gemeindezentren angeboten werden. Die erzielten Resultate sind bemerkenswert und bestätigen den eingeschlagenen Weg. Die DEZA wird diesen mit ihren Partnern in Bosnien und Herzegowina weitergehen.

Gemeindenahe Psychiatrie in Bosnien und Herzegowina
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