18.06.2019

Berner Generationenhaus, 18. Juni 2019

Eröffnung durch StS Pascale Baeriswyl, EDA

«Die Bedeutung der Menschenrechte in der Schweiz am Beispiel des UPR»

Rednerin/Redner: Pascale Baeriswyl

Sehr geehrter Herr Stadtpräsident,
Liebe Vertreterinnen und Vertreter eidgenössischer, kantonaler und kommunaler Verwaltungen,
Sehr geehrter Herr Direktor des SKMR,
Liebe Menschenrechtsexpertinnen und -experten,
Geschätzte Gäste


Im Namen des EDA möchte ich Sie herzlich zur heutigen Tagung begrüssen.
Nehmen wir einmal an, sie heisse «Gladys». Und nehmen wir an, Gladys lebe in einem Vorort von Huaraz in Peru: Sie hat heute früh geduscht, gefrühstückt, die Kinder zur Schule gebracht und ist zur Arbeit gefahren. Im Bus dorthin hat sie Zeitung gelesen und sich mit einem Fahrgast über eine durch Pestizide verursachte Wasserverschmutzung und die danach erfolgten Demonstrationen der Dorfbevölkerung unterhalten.

Sie wissen es: Hinter dieser banalen Alltagsroutine von Gladys stecken viele Grundrechte, die der peruanische Staat ihr und ihrer Familie dafür gewähren muss: Vom Recht auf Nahrung über jenes auf Wasser, Bildung oder Arbeit, aber auch das Recht auf Meinungsäusserungs- oder Versammlungsfreiheit. Vielerorts sind diese nicht garantiert.

In der Schweiz haben wir das Privileg, Menschenrechte weitgehend als Selbstverständlichkeit zu betrachten. Sie sind als Grundrechte in Bundes- und Kantonsverfassungen garantiert.  Wir haben das Recht, für unsere Anliegen auf die Strasse zu gehen – Hunderttausende – vielleicht auch Sie – taten das am letzten Freitag anlässlich des Frauenstreiktags, und unsere Jugendlichen protestieren auf der Strasse für einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Klima. Wir können auch andere Mittel wählen und für unsere politischen Anliegen Initiativen einreichen oder gegen eine Vorlage das Referendum ergreifen. Und sowieso sind wir aufgefordert, regelmässig an der Urne über wichtige Sachfragen mitzuentscheiden. Unsere Kinder gehen täglich zur Schule, trinken sauberes Trinkwasser, und wir haben Zugang zu einer hervorragenden medizinischen Versorgung. Und trotz vieler Diskussionen, die Ängste schüren, ist die Sicherheit im öffentlichen Raum hoch, und dass wir uns - ohne um unser Leben fürchten zu müssen – frei bewegen, scheint uns völlig normal. Auch da lässt sich sagen: Vielerorts ist es das nicht.

Doch hinter diesem Privileg, Menschenrechte als Selbstverständlichkeit, ja als «völlig normal» betrachten zu können, respektive, diese deshalb nicht mehr bewusst wahrnehmen zu müssen, steht viel aktive Arbeit. Viele Menschen engagieren sich täglich für die Einhaltung dieser Rechte. Und dieses kontinuierliche Engagement leisten Nichtregierungsorganisationen – von Verbänden über Individuen zu Unternehmen – aber auch staatliche Akteure, vom Bund über Gemeinden zu Städten und Kantonen. Also Sie und wir. Und selbstverständlich gibt es auch in der Schweiz Verbesserungspotential. Manche müssen für ihre Rechte und das Privileg der Selbstverständlichkeit kämpfen. Auch das sollten wir nie vergessen.

Die heutige Tagung möchte die verschiedenen Aspekte unserer Menschenrechtsarbeit und die Bezüge untereinander besser ausleuchten. Sie geht Fragen nach wie «Wissen wir eigentlich, wer sich wo und für welche Anliegen engagiert? Wird jeder Beitrag zur Einhaltung unserer Rechte bewusst als solcher geleistet und wahrgenommen? Wie sprechen und berichten wir darüber? Wo gehören wir zu den Champions und wo stehen wir vor Herausforderungen?

Auf allen Verwaltungsebenen unseres föderalen Systems wird wichtige Menschenrechtsarbeit geleistet. Es fehlt uns allerdings ein holistischer Blick, der es uns erlauben würde, das innenpolitisch Erreichte für die Aussenpolitik noch konkreter nutzbar zu machen. Und umgekehrt möchten wir besser verstehen, wie internationale Menschenrechtsnormen bis hinunter auf den Dorfplatz einer Gemeinde wirken können. Wir sind überzeugt, dass der heutige Dialog interessante Praxisbeispiele aufzeigen wird, welche dieses Innen und Aussen und das Ineinandergreifen der verschiedenen Akteurinnen und Akteure noch näher beleuchten.

Auf die Frage «Wo beginnen die Menschenrechte? » antwortete Eleanore Roosevelt bereits 1948: «An den kleinen Plätzen, nahe dem eigenen Heim. So nah und so klein, dass diese Plätze auf keiner Landkarte der Welt gefunden werden können. Und doch sind diese Plätze die Welt des Einzelnen: Die Nachbarschaft, in der er lebt, die Schule oder die Universität, die sie besucht, die Fabrik, der Bauernhof oder das Büro, in dem er arbeitet. Das sind die Plätze, wo jeder Mann, jede Frau und jedes Kind gleiche Rechte, gleiche Chancen und gleiche Würde ohne Diskriminierung sucht. So lange diese Rechte dort keine Geltung haben, sind sie auch woanders nicht von Bedeutung. […]».

Meine Damen und Herren,

Ich habe es schon angesprochen: Am vergangenen Freitag haben die Frauen zum Streik aufgerufen. Frauen und Männer gingen auf die Strasse, um Lohngleichheit und Wertschätzung für die Arbeit im Haushalt zu fordern und um auf die Verbreitung von sexueller und sexistischer Gewalt in der Schweiz aufmerksam zu machen. In Zeiten von #MeToo sind diese Anliegen besonders relevant. Die Schweiz zeigt, beispielsweise durch das Inkrafttreten der Istanbul Konvention – ein europaweites Abkommen zum Schutz von Frauen gegen jegliche Form von Gewalt –, dass sie diese Probleme ernst nimmt. Auch hier erkennen wir also Verbindungen zwischen einer globalen Bewegung, einer europäischen Konvention, einem nationalen Protestaufruf und dessen lokaler Umsetzung.

Unser Land basiert auf vier zentralen Prinzipien: Rechtsstaatlichkeit, direkte Demokratie, Sozialstaat und Föderalismus. Kantone, Städte und Gemeinden nehmen in allen zentralen Fragen Verantwortung wahr. Sie sind am nächsten «bi de Lüüt» wie wir sagen, und stehen für die kulturelle und sprachliche Diversität unseres Landes. Ohne sie geht also gar nichts. Entsprechend ist es mir eine besondere Freude, dass wir die heutige Tagung nicht nur mit unseren langjährigen Partnerinnen und Partnern vom Schweizerischen Kompetenzzentrum für Menschenrechte organisieren können, sondern auch gemeinsam mit der Konferenz der Kantonsregierungen, dem Schweizerischen Städteverband und dem Schweizerischen Gemeindeverband.

Eine glokale Welt – wie man so schön modern sagt - bedeutet, dass das internationale Umfeld, auf das wir für unsere Sicherheit, unseren Wohlstand und unsere Unabhängigkeit angewiesen sind, den Menschenrechtsschutz ernst nimmt. Die Schweiz geniesst dank ihrer Neutralität, ihrer humanitären Tradition, Erfahrung und Expertise auf multilateraler Ebene grossen Respekt. Und der Einsatz für Frieden und Menschenrechte gehört - auch in den Augen unserer internationalen Partnerinnen und Partner – zu unserer DNA.

Doch gerade dieser internationale Rahmen, das Völkerrecht, aber auch der gesamte «Acquis» des internationalen Menschenrechtsschutzes – ob in der bilateralen oder multilateralen Menschenrechtspolitik oder in dessen institutioneller Übersetzung, wird derzeit stark herausgefordert: Die Rechtsgrundlagen geraten einerseits unter Druck durch jene, die sie systematisch verletzen, sodass sie deren Bedeutung schmälern, aber auch durch jene, die diese zunehmend umzudeuten versuchen, und schliesslich bergen auch die globalen Phänomene wie Klimawandel, Migration oder Digitalisierung, Herausforderungen, auf die wir nicht genügend vorbereitet waren, aber nur mit globalen Antworten in einem soliden Rahmen antworten können. Und obschon der Menschenrechtsrat sich vermehrt dieser Fragen annimmt, sind am Ende die einzelnen Staaten gefordert, konkrete Antworten zu formulieren – Antworten, die wiederum mit den Grundrechten vereinbar sein müssen.

Grosse Bedeutung messen wir in diesem Kontext der Allgemeinen regelmässigen Menschenrechtsüberprüfung [Universal Periodic Review, UPR] zu. Wir waren damals massgeblich nicht nur an der Gründung des Menschenrechtsrates beteiligt, sondern eben gerade auch an der Entwicklung eines Instruments als «Dialog auf Augenhöhe». Der UPR geniesst unter den UNO-Mitgliedstaaten breite Akzeptanz und hat das Potential, der Politisierung der Menschenrechte entgegenzuwirken.

Wir selber unterzogen uns letztmals im Oktober 2017 diesem Stresstest. Im Rahmen dieser dritten Überprüfung der Schweiz, äusserten sich zahlreiche Staaten anerkennend über unser Engagement und dankten für die Vorbildfunktion, die wir in vielen Bereichen haben können. Gleichzeitig gaben die Staaten zahlreiche Empfehlungen für Verbesserungen in unserem Land ab. Im Vordergrund standen dabei insbesondere Massnahmen in den Bereichen Diskriminierung und Rassismus, Migration und Asyl oder Geschlechtergleichstellung und  Identität. Diese Themen werden uns deshalb auch durch die heutige Tagung begleiten.

Zahlreiche Staaten haben der Schweiz auch die Schaffung einer Nationalen Menschenrechtsinstitution nahegelegt. Dieses Thema begleitet uns seit langem. Ich bin zuversichtlich, dass wir in Kürze detailliert über das Projekt informieren können.

Erlauben Sie mir zum Schluss ein paar Worte zur Kohärenz. Eine kohärente Menschenrechtsaussenpolitik zugunsten von Menschen wie «Gladys» ist für uns ein zentrales Anliegen. Sie trägt zur Glaubwürdigkeit und Berechenbarkeit unseres Landes als internationale Akteurin bei. Kohärenz kann aber nur dann sichergestellt werden, wenn die Verbindung von Innen- und Aussenpolitik nie aus dem Fokus gerät. Dank der intensiven Zusammenarbeit aller heute Anwesenden – Vertreterinnen und Vertreter von städtischen und kantonalen Exekutivbehörden, Sicherheitskräfte und Nichtregierungsorganisationen – leistet diese Tagung einen wesentlichen Beitrag zur Politikkohärenz.
Ich möchte Ihnen dafür sehr herzlich danken. Aber viel mehr noch danke ich für Ihr kontinuierliches Engagement und wünsche Ihnen eine interessante und inspirierende Konferenz.  

Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit!


Letzte Aktualisierung 29.01.2022

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