20.08.2012

"Neutralität, Solidarität, Verantwortung" - Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Damen und Herren Botschafter
Meine Damen und Herren

Ich bin stolz auf unser Land und ich bin stolz auf Ihre Arbeit.

Die Welt verändert sich rasant. Unser Kontinent ist alles andere als stabil. Und die Schweiz steht als unabhängiges und souveränes Land, das weder einem Bündnis noch einer Staatengruppe angehört, vor zahlreichen Herausforderungen.
Ich bin stolz auf unser Land, denn in dieser instabilen Welt steht es für Stabilität. Ich bin stolz auf unser Land, denn es verkörpert überzeugende Werte, die das Fundament seines Erfolgs sind und an denen es festhält. Ich bin stolz auf unser Land, denn es nimmt seine Verantwortung für die kommenden Generationen ernst und stellt sich den Herausforderungen der heutigen Zeit. Ich bin stolz auf unser Land, denn es geht seinen Weg und wahrt seine Souveränität, selbst wenn dies mitunter schwierig ist.
 
In dieser sich wandelnden Welt muss unser kleines souveränes Land mehr als andere darum kämpfen, dass seine Stimme gehört wird, dass seine Rechte und seine Entscheidungen respektiert werden. Gerade das macht die Arbeit des Departements so komplex und so unverzichtbar. Sie ist von grundlegender Bedeutung für unser Land und seine Einwohnerinnen und Einwohner.

Ich bin stolz auf die Qualität Ihrer Arbeit und der des gesamten Departements. Ich bin stolz darauf, weil sich diese Arbeit durch grosses Pflichtbewusstsein und Engagement im Dienst unseres Landes auszeichnet. Ich bin stolz darauf, weil dieses Departement die Professionalität, den Weitblick, die Flexibilität und die Kreativität besitzt, die für wirksames Handeln notwendig sind.
Die Schweiz muss sich mehr anstrengen als andere. Sie muss antizipieren, innovieren und besser vorbereitet sein als andere, um ihren Weg weiterzugehen und ihre Stimme zu Gehör zu bringen.

Seit etwas mehr als sieben Monaten bin ich nun Vorsteher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten. Und ich bin – um es ganz einfach und direkt auszudrücken – sehr glücklich darüber, dass ich jeden Tag diese spannende Arbeit tun darf und dass ich sie gemeinsam mit Ihnen tun darf. Ich glaube, wir haben tatsächlich die Möglichkeit, etwas zu bewirken, Dinge in Gang zu setzen, Fronten aufzulockern. All dies dank der immensen Arbeit des ganzen Departements, dank dieser geduldigen, klugen und oft kaum sichtbaren Bemühungen um das Wohl unseres Landes und der Menschheit.

Meine Damen und Herren

Wir in der Schweiz haben die aussergewöhnliche Chance – und sie ist nach weltgeschichtlichen Massstäben nach wie vor buchstäblich aussergewöhnlich –, als freie Bürgerinnen und Bürger eines freien Landes zu leben. Das sollte uns bewusst sein. Und wir sollten darüber nachdenken, was diese Chance, die wir unseren Vorfahren verdanken, für uns bedeutet.

«Um frei zu sein, genügt es nicht, die Ketten abzuwerfen, sondern man muss so leben, dass man die Freiheit des anderen respektiert und fördert.»  Dieser Satz stammt von einem grossen Freiheitskämpfer, der 30 Jahre seines Lebens für den Kampf um Freiheit opferte: Nelson Mandela. Der Satz gilt für jeden Menschen, und er gilt für unser Land wie für jedes andere Land.

Die Schweiz ist ein freies, sicheres und wohlhabendes Land. Es gehört zu den Aufgaben unseres Landes und seiner Regierung, diese Freiheit, diese Sicherheit und diesen Wohlstand zu wahren. Die Aussenpolitik der Schweiz verfolgt genau diese drei Ziele, die in unserer Bundesverfassung, unserem Gesellschaftsvertrag, verankert sind.
So hält Artikel 2 der Bundesverfassung fest: «Die Schweizerische Eidgenossenschaft schützt die Freiheit und die Rechte des Volkes und wahrt die Unabhängigkeit und die Sicherheit des Landes.»

Und in Artikel 54, der der Aussenpolitik gewidmet ist, heisst es: «Der Bund setzt sich für die Wahrung der Unabhängigkeit der Schweiz und für ihre Wohlfahrt ein».

In der Aussenpolitik geht es um Interessenswahrung, es geht darum, die Unabhängigkeit, den Wohlstand und die Sicherheit des Landes zu verteidigen und zu erhalten.
Aussenpolitik ist all dies – und vieles mehr: «Um frei zu sein, genügt es nicht, die Ketten abzuwerfen, sondern man muss so leben, dass man die Freiheit des anderen respektiert und fördert.», hat Nelson Mandela gesagt.

Man könnte seine Worte auch ergänzen:
«Um wohlhabend zu sein, genügt es nicht, den eigenen Obstgarten zu pflegen, sondern man muss nachhaltige Grundlagen für den gemeinsamen Wohlstand schaffen.»
«Um sicher zu sein, genügt es nicht, die eigene Türe zu verschliessen, sondern man muss so leben, dass die menschliche Sicherheit respektiert und gefördert wird.»

Die Schweizer Aussenpolitik umfasst gemäss unserer Bundesverfassung also nicht nur die Wahrung unserer Interessen. Sie umfasst auch die Förderung der Werte unseres Landes; der Werte, die die Schweiz ausmachen, die sie zu einem anerkannten und respektierten Staat machen, die unser Land einen und die Grundlagen für unsere Zukunft bilden.

In der Bundesverfassung steht nämlich auch:

«Der Bund trägt namentlich bei zur Linderung von Not und Armut in der Welt, zur Achtung der Menschenrechte und zur Förderung der Demokratie, zu einem friedlichen Zusammenleben der Völker sowie zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen.»
- Armutsbekämpfung
- Menschenrechte
- Demokratie
- Frieden
- Umweltschutz

Das sind die fünf Werte, für die wir uns aufgrund unserer Bundesverfassung besonders einsetzen müssen. Der Verfassungsgeber hat seine Sache gut gemacht, denn wer nur seine unmittelbaren Interessen verteidigt, fördert diese vielleicht kurzfristig, schwächt aber gleichzeitig das Fundament, auf dem das Haus gebaut werden soll.

Niemand von uns würde seine Wohnung neu streichen, wenn das Gebäude am Zusammenbrechen ist. Wir wissen, dass es neben Malerarbeiten auch Konsolidierungs- oder Maurerarbeiten auf den anderen Stockwerken braucht, um unsere Nachbarn, aber auch uns selber zu schützen. Dies bedeutet Solidarität und Verantwortung zugleich.

Sehr geehrte Damen und Herren Botschafter
Meine Damen und Herren

Aufgrund Ihrer Funktion sind Sie besser als alle anderen in der Lage zu sehen, wie sich die Welt verändert und entwickelt. Sie sind als Beobachter und Akteure ideal positioniert, um die Entwicklungen zu verfolgen und zu verstehen, und ich denke, niemand von Ihnen wird bestreiten, dass in der heutigen Welt nichts sicherer ist als die Unsicherheit.

Die heutige Welt ist geprägt von zahlreichen Krisen, Veränderungen und Aufständen. Die Gleichgewichte verschieben sich, Risse treten auf, neue Gebiete entstehen, bestehende brechen zusammen, hier bebt die Erde, dort vertiefen sich die Risse, es kommt zu teilweise gewaltsamen Brüchen, die die Landschaft erschüttern. Eine beschleunigte tektonische Bewegung scheint die globale Geopolitik und die Weltwirtschaft ergriffen zu haben. Sie formt die neuen Umrisse der Welt, die anders aussehen und noch komplexer sein wird als bisher.

Die Welt wird immer globalisierter und interdependenter. Was an einem Ort geschieht, hat auch Auswirkungen in anderen Regionen der Welt. Der Tsunami in Japan, die Schuldenkrise in Griechenland, die Instabilität in Somalia, die Aufstände in der arabischen Welt: Alle diese und auch andere Ereignisse haben direkte Auswirkungen auf unsere Gesellschaften.
Auch die teilweise gewaltigen Herausforderungen, vor denen die Schwellenländer stehen, gehen uns etwas an. Denken wir an die Herausforderungen in den Bereichen Klima, Wasser, Nahrung, Umwelt, Mobilitätsmanagement, Energie, demographische Entwicklung oder Alterung der Bevölkerung mit den damit verbundenen Krankheiten. Diese letzte Frage betrifft nicht nur den Westen, sondern stellt auch für ein so bevölkerungsreiches und aufstrebendes Land wie China eine echte Herausforderung dar. In diesen und anderen Bereichen stellen sich uns globale Herausforderungen.
In diesem aussenpolitischen Kontext kann die Schweiz auf ihre bewährten Grundsätze setzen: auf die immerwährende Neutralität, die Universalität unserer Beziehungen und die rechtsstaatlichen Prinzipien, die unser Handeln leiten.
In dem soeben beschriebenen Kontext muss die Schweiz aber noch einen Schritt weiter gehen. Sie muss sich auch in Zukunft solidarisch zeigen gegenüber der Welt, und sie muss ihren Teil an Verantwortung für die Zukunft unseres Planeten und der internationalen Ordnung übernehmen. Unser Engagement muss heute mehr denn je unter dem dreifachen Motto «Neutralität, Solidarität und Verantwortung» stehen.

Meine Damen und Herren

In diesem Sinne hat der Bundesrat Anfang 2012 seine aussenpolitische Strategie für die Jahre 2012 bis 2016 verabschiedet, also für die ganze Legislaturperiode. Seiner Auffassung nach bedarf es eines strategischen Grundlagendokuments, das kurz und bündig erläutert, welche Ziele mit welchen Mitteln anzustreben sind, und das sodann die entsprechenden aussenpolitischen Massnahmen und Schwerpunktprojekte festlegt.

Vier Jahre oder eine Legislaturperiode – das ist nicht viel Zeit für die Umsetzung einer solchen Strategie. Doch die Strategie 2012–2016 ist langfristiger angelegt, und diese langfristige Perspektive möchten wir im Rahmen dieser Botschafterkonferenz zum Thema machen. Wir wollen feststellen, welches die ideale Positionierung der Schweiz in zehn Jahren wäre und wie wir sie erreichen könnten. Natürlich wissen wir nicht, wie die Welt in zehn Jahren aussieht, wir wissen nicht, zu welchen Unruhen, Unwägbarkeiten und unvorhergesehenen Entwicklungen es bis dahin kommen wird. Doch keine mittel- und langfristige Strategie wird jemals alle externen Einflüsse voraussehen können. Worauf es vor allem ankommt, sind klare Zielsetzungen und eine klare Definition der Mittel, mit denen wir sie erreichen wollen. Und wir sollten uns nicht dadurch entmutigen lassen, dass der Weg ein wenig länger ist, dass Hindernisse zu überwinden oder zu umgehen sind, dass wir Unwettern trotzen und uns gewissermassen mit ihnen arrangieren müssen, dass wir Stürmen ausgesetzt sind und Steilhänge erklimmen müssen.

«Der Weg entsteht beim Gehen» sagte schon der Lyriker Antonio Machado. Wir selbst stecken unseren Weg ab, und er hat nur dann einen Sinn, wenn wir wissen, wohin wir gehen wollen – auch wenn wir nicht jede Etappe im Voraus kennen.

Dieser Weg ist eine gemeinsame Aufgabe, eine Aufgabe für unser Team, eine Art «Nati», in der Sie unersetzbare Spieler sind!

Wie ich zu Beginn sagte, bin ich stolz auf die Arbeit unseres Departements, denn sie zeugt von hoher Qualität, Präzision und Intelligenz sowie vom Engagement jeder und jedes Beteiligten.
Mit unserem Aussennetz verfügt die Schweiz über ein hervorragendes und höchst nützliches Instrument. Selbstverständlich muss dieses Netz den Erfordernissen der sich wandelnden Welt, den neuen Bedürfnissen und Techniken angepasst werden. Keinesfalls aber darf die Schweiz ihr Aussennetz schwächen. Es sollte ganz im Gegenteil verstärkt werden. Dies muss eine Priorität unseres Departements sein.

Unsere gesamte Arbeit ist zu integrieren. In dieser Hinsicht ist die Eröffnung einer integrierten Botschaft in Myanmar ein wichtiges Signal: Ein Team, ein Image, ein Gebäude für die Schweizer Botschaft in Myanmar.

Meine Damen und Herren

Unser Departement ist ein geeintes und solidarisches Team und damit ein Abbild der Schweiz. Denn im Hinblick auf die Aussenbeziehungen gibt es nur eine Schweiz – ungeachtet ihrer ausgeprägten internen Vielfalt.
Im Grunde gleicht die Schweiz unserem Departement: Sie nutzt die Stärken ihrer Vielfalt und lässt sich durch Divergenzen nicht schwächen.

Das Departement hat verschiedene Abteilungen, die jedoch ihre Kompetenzen zusammenlegen. Es hat verschiedene Direktionen, doch nur eine Orientierung, und diese entspricht der Strategie des Bundesrates für die Wahrung der Interessen und der Werte der Schweiz.
Unser Departement nutzt die Qualitäten mehrerer Generationen. Da unsere Arbeit langfristig angelegt ist und unsere Zielsetzungen einen Zeitraum von zehn Jahren umspannen, ist es wünschenswert und nur natürlich, dass wir die Kompetenzen und die Intelligenz der Jugend mit einbeziehen. Im EDA gibt es zahlreiche vielversprechende – und damit für die nächste Generation repräsentative – Nachwuchskräfte. Es war noch nie ein Fehler, der Jugend zu vertrauen und sie zu fördern. Es ist Aufgabe erfahrener Diplomatinnen und Diplomaten, Nachwuchskräfte einzusetzen und ihnen zu helfen, ihr Potenzial zu entfalten, indem sie ihnen Erfahrungswissen vermitteln. Aus diesem Grund haben wir auch die Jugend auf unsere heutige Tagesordnung gesetzt: Gleich werden uns mehrere junge Mitarbeitende des EDA erläutern, wie sie die Herausforderungen für die Schweiz im Jahr 2022 sehen, wenn wir ihnen das Steuer überlassen haben. Ich betrachte das als Einstieg zu den Bemühungen des gesamten Departements, diese kostbare Ressource – die einzige natürliche Ressource, die wir besitzen: die personelle – künftig systematischer zu nutzen.
Ich möchte Sie auch bitten, bei Ihrer Arbeit kreativ zu sein und niemals zu zögern, im Departement ihre Ideen einzubringen und Ihre Meinung zu sagen.

Meine Damen und Herren

Bei meinen internationalen Kontakten in diesen ersten Monaten ist mir besonders aufgefallen, welch wichtige Rolle die Schweiz spielen kann, wenn sie sich gut positioniert und gut arbeitet. Unser Land ist zwar klein, nimmt aber in einem viel stärkeren Mass Einfluss, als es unserer Grösse entspricht. Dies gilt auch für das internationale Genf, das zu den bekanntesten Städten der Welt gehört, obwohl man dies aufgrund seiner Einwohnerzahl nicht erwarten würde.
Um ihren Einfluss und ihren Handlungsspielraum erweitern zu können, muss die Schweiz jedoch immer «einen Schritt voraus sein»: Sie muss sich in Nischen positionieren, ein besonderes Profil entwickeln oder ein besonderes Engagement zeigen, einen spezifischen Mehrwert aufweisen.
Dies setzt Intelligenz, Kreativität und harte Arbeit voraus. Diese Eigenschaften sind in unserem Departement reichlich vertreten. Wenn wir aber in zehn Jahren weiter sein wollen, braucht es vielleicht noch etwas mehr, denn in einer sich verändernden Welt, wo die Konkurrenz immer härter wird, müssen wir unser Anderssein vermehrt betonen.

Ich bitte Sie deshalb, noch härter zu arbeiten, noch kreativer zu sein und sich noch mehr für die Ideen, Projekte und Initiativen einzusetzen, die den Unterschied machen, die die Schweiz zu einem besonderen, einem erfolgreichen Land machen, das sich von anderen abhebt. Die Schweiz hat keine andere Wahl, sie ist dazu «verurteilt, hervorragend zu sein». Ihre Arbeit, Ihr Engagement, Ihre Kreativität, meine Damen und Herren, machen unseren Erfolg aus. Ich bin überzeugt, dass ich auf alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Departements zählen kann, und dafür danke ich Ihnen.

Meine Damen und Herren

Auf der Grundlage der Interessen, Werte und Grundsätze, die ich soeben erwähnt habe, hat der Bundesrat vier strategische Schwerpunkte definiert, die über die vierjährige Legislaturperiode hinaus Gültigkeit haben sollen. Die diesjährige Botschafterkonferenz hat die Aufgabe, sich zu überlegen, wo die Schweiz im Jahr 2022 in diesen Bereichen stehen soll. Wie kann sie sich die Mittel geben, um ihre Ziele zu erreichen?

Der erste Schwerpunkt betrifft die Pflege und den Ausbau unserer Beziehungen zu den Nachbarstaaten, und zwar in allen Handlungsfeldern. Es ist nur logisch, dass immer wieder neue Fragen auftauchen, wenn die Nachbarn so starke und intensive Beziehungen unterhalten, wenn es mehrere Grenzregionen gibt, die zu bi- oder sogar trinationalen Agglomerationen mit ebenso vielen Lebensräumen geworden sind.
Wir müssen über diese Fragen mit unseren Nachbarn sprechen können, und wir müssen mit Entschlossenheit und Kreativität nach Lösungen suchen, so wie wir es im Fall des Flughafens Basel-Mülhausen getan haben. Hier konnte eine verfahrene Situation gelöst werden, nachdem sich die beiden Regierungen darauf einigten, das Problem gemeinsam anzugehen. Unsere Beziehungen zu Italien, Deutschland und Frankreich waren in den letzten Monaten von so unterschiedlichen und – das haben die zahlreichen Reaktionen gezeigt – auch heiklen Themen wie dem Steuerdossier, den Wirtschaftsbeziehungen oder der Zukunft unserer Flughäfen geprägt. Ganz bewusst habe ich für meine ersten bilateralen Besuche unsere Nachbarländer gewählt: Im Januar war ich in Wien und im Februar in Berlin. Für Frankreich und Italien hatte ich Gelegenheit, meine Kollegen in diesem ersten Halbjahr am Rande von multilateralen Anlässen zu treffen. Dabei haben wir uns dafür ausgesprochen, möglichst früh in der zweiten Jahreshälfte Gespräche in diesen beiden Hauptstädten zu führen, was nun der Fall ist: Ich werde in der ersten Septemberhälfte nach Paris und Rom reisen. Übermorgen werde ich übrigens in Vaduz sein, wo das Vierertreffen der deutschsprachigen Länder stattfindet. Solche Anlässe sind Teil der bundesrätlichen Strategie und ergänzen die Arbeiten und Treffen verschiedener Departemente zum Ausbau unserer Beziehungen sowie die bisherigen und künftigen Treffen der Bundespräsidentin mit anderen Staats- und Regierungschefs. Auf diese Weise können wir mit jedem unserer Nachbarstaaten einen Prozess zur Verstärkung unserer Zusammenarbeit und unseres Austauschs einleiten oder wieder beleben. Eines ist sicher: Unsere Nachbarn werden auch in zehn Jahren noch die gleichen sein. Aber welche Herausforderungen werden wir im Rahmen dieser bilateralen Beziehungen in zehn Jahren lösen müssen? Wie wird der Rahmen unserer Beziehungen aussehen? Welche Herausforderungen müssen wir bewältigen, damit unsere Beziehungen im Alltag stark bleiben? Wie soll die Entwicklung der vielen grenzüberschreitenden Wirtschafts- und Lebensräume an den Schweizer Grenzen konkret gefördert werden? Welche Massnahmen müssen wir treffen, damit unsere Nachbarländer die Schweiz besser kennen und verstehen? Dies sind nur einige Fragen, über die wir nachdenken müssen.

Wie Sie wissen, hat der Bundesrat entschieden, Grossbritannien einen besonderen Status einzuräumen. Aufgrund der speziellen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern ist uns das Verhältnis zu Grossbritannien gleich wichtig wie dasjenige zu unseren Nachbarstaaten. Bei meinem Treffen mit dem britischen Foreign Secretary am 1. August in London und bei den verschiedenen Gesprächen mit dem Minister für europäische Angelegenheiten haben wir die Grundlagen für eine verstärkte und nachhaltige Zusammenarbeit gelegt, an der wir aktiv und kreativ arbeiten wollen. In den nächsten Tagen werden wir Gelegenheit haben, einige Ansätze zu besprechen.
 
Beim zweiten strategischen Schwerpunkt geht es um unsere Beziehungen zur Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten. Wie Sie wissen, hat der Bundesrat seinen Willen zur Fortsetzung und Erneuerung des bilateralen Wegs bekräftigt, indem er der EU neue institutionelle Vorschläge als Antwort auf die vier Kritikpunkte unterbreitet hat, die der EU-Rat in seinen Schlussfolgerungen vom Dezember 2010 formuliert hatte. Zudem hat die Schweiz ein Mandat für den Dialog mit der EU über Unternehmenssteuerregime verabschiedet, die die laufenden Dialoge und Verhandlungen in anderen Bereichen ergänzen.
Wir haben in Brüssel mit Kommissionspräsident Barroso und Ratspräsident Van Rompuy sowie mit der zypriotischen EU-Präsidentschaft Gespräche geführt. Sowohl Herr Barroso in Brüssel als auch Frau Kozakou-Marcoullis in Zypern sind bereit, der Schweiz im Herbst einen Besuch abzustatten. Wir suchen gegenwärtig nach einem geeigneten Termin. Auch hier muss ein Dialog geführt werden, namentlich auf politischer Ebene. Klar vertreten wir unterschiedliche Standpunkte, aber gerade im institutionellen Bereich hat die Schweiz einen bedeutenden und konstruktiven Schritt auf die EU zu gemacht. In einer auf gegenseitigem Vertrauen beruhenden Partnerschaft ist es wichtig, dass beide Seiten gewillt sind, an einen Tisch zu sitzen, um Lösungen für einen gemeinsamen künftigen Weg zu finden. Wir spüren diese Bereitschaft von Seiten der EU und ihrer Mitgliedstaaten. Wir müssen unsere Bemühungen, den Standpunkt und die Vorschläge der Schweiz zu erklären, weiterführen. Das wollen wir im zweiten Halbjahr verstärkt tun. 
Welches sind die grossen Herausforderungen für den bilateralen Weg in den nächsten zehn Jahren? Wie können wir diesen Weg erneuern und weiter entwickeln? Welche Hindernisse und Chancen erwarten uns? Inwiefern kann die Schweiz im europäischen Kontext auch in Zukunft eine besondere Rolle spielen? Ich möchte Sie einladen, sich mit diesen Fragen zu befassen und dabei Ihre Kreativität spielen zu lassen.

Wie Sie wissen, steht beim dritten strategischen Schwerpunkt die Stabilität in Europa, in Grenzregionen zu Europa und in der übrigen Welt im Vordergrund. Hier geht es in erster Linie um die Aktivitäten der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit. Im Parlament wird zurzeit über einen diesbezüglichen Vierjahreskredit in der Höhe von 11,3 Milliarden Franken – also ein Franken pro Jahr und pro Einwohner – diskutiert.

Dies würde es erlauben, in den nächsten Jahren den Anteil der öffentlichen Entwicklungshilfe auf 0,5 % des Bruttonationaleinkommens zu erhöhen. Unser Engagement für mehr Stabilität findet beispielsweise auch Ausdruck in unserer Bereitschaft, zu einer politischen Lösung in Syrien und einer Stabilisierung der Region beizutragen, namentlich durch Hilfsmassnahmen bei der Aufnahme von Flüchtlingen in den Nachbarländern und durch den Appell an den Sicherheitsrat, den Fall Syrien vor den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen. Es findet zudem Ausdruck in unserem Eintreten für menschliche Sicherheit: Förderung des Friedens, der Demokratie, der Menschenrechte und des Rechtsstaats.
«Um frei zu sein, genügt es nicht, die Ketten abzuwerfen, sondern man muss so leben, dass man die Freiheit des anderen respektiert und fördert.»  Diesen Satz von Nelson Mandela kennen Sie ja bereits. Genau das ist es, was die Schweiz in diesem Bereich zu tun versucht.
Wie können wir in diesen Bereichen noch effektiver arbeiten? Welches werden die neuen Tätigkeitsfelder sein? Wie kann die Schweiz als Depositar der Genfer Abkommen die Kenntnis, die Anwendung vor Ort und die Kontrolle der Einhaltung des humanitären Völkerrechts verbessern? Mit allen diesen Fragen zum kommenden Jahrzehnt müssen wir uns auseinandersetzen.

Und dann gibt es noch einen vierten strategischen Schwerpunkt, meine Damen und Herren, und das wäre sozusagen der vierte Arm des Schweizerkreuzes. Dieser Arm ist ebenso wichtig wie die drei anderen. Das Schweizerkreuz besteht aus vier Armen von gleicher Grösse, und der Nummer vier widmen wir die gleiche Aufmerksamkeit wie den drei anderen Nummern. Die Strategie des Bundesrates läuft nicht darauf hinaus, die diplomatische Tätigkeit und die Aussenpolitik der Schweiz zunehmend auf unsere Nachbarn und den europäischen Kontinent zu beschränken. Wir möchten diese lebenswichtigen Beziehungen pflegen und stärken, aber wir wollen auch unsere Partnerschaften mit der Welt von morgen strategisch ausbauen.
Denn was spielt sich vor unseren Augen ab? Die Begriffe «Alte Welt» und «Neue Welt», die jahrhundertelang in Gebrauch waren, sind in dem Moment überholt, in dem alte Alte Welten in Asien zu einer Neuen Welt werden und im Süden des amerikanischen Kontinents eine neue Neue Welt entsteht. Ja, die Welt definiert sich neu, und der vierte Schwerpunkt unserer Strategie ist die Entwicklung und Stärkung gezielter Partnerschaften. Wir können nicht überall sein. Deshalb nehmen wir im Aussennetz einige Anpassungen dahingehend vor, dass wir unser Partnerschaftsnetz gezielt ausbauen. Dazu gehören selbstverständlich die G20 und die BRICS-Staaten. Wir wollen die strategischen Partnerschaften mit ihnen sichern und erforderlichenfalls auch verstärken. Doch es gibt ja nicht nur die fünf grossen BRICS-Staaten, die den Sockel der neuen Welt bilden. Es gibt auch zahlreiche kleinere Schwellenländer, die der Schweiz grossartige Möglichkeiten bieten und mit denen wir interessante Partnerschaften aufbauen können. Wir sollten diese Länder nicht aus den Augen verlieren, sondern ihre Entwicklung aufmerksam verfolgen. Wir müssen frühzeitig mögliche Partner identifizieren, die Situation einschätzen, den spezifischen Mehrwert für die Schweiz bestimmen, gemeinsam zu tragende Projekte finden. Das ist ein weiteres Thema für diese Woche. 

Zum vierten Schwerpunkt gehören auch unsere multilaterale Zusammenarbeit und die Rolle Genfs und der Schweiz als Ort der multilateralen Diplomatie. Die Schweiz ist seit zehn Jahren Mitglied der UNO, und diesen Jahrestag werden wir in wenigen Tagen begehen (am 10. und 11. September wird der UNO-Generalsekretär die Schweiz besuchen). Wir sollten versuchen, uns in dieses zweite Jahrzehnt zu versetzen, in dessen Verlauf die Schweiz möglicherweise 2023-2024 Einsitz im Sicherheitsrat nimmt. Die Prioritäten der Schweiz sind die Reform der Organisation, damit sie effektiver arbeiten kann, und die weltweite Sicherheit. Wie sind diese Prioritäten in konkrete Massnahmen umzusetzen? Wer eignet sich als Partner? Welche Initiativen sollten lanciert werden?
Wie und durch welche konkreten Massnahmen kann angesichts des verschärften Wettbewerbs die Rolle und der Platz Genfs im internationalen Umfeld gestärkt und konsolidiert werden?
Die Schweiz wird 2014 auch den OSZE-Vorsitz übernehmen. Ihre Tätigkeit während diese Jahres soll auf Dauer angelegt werden: Welche Prioritäten und welche Massnahmen eignen sich für welche Regionen, um im nächsten Jahrzehnt die menschliche Sicherheit in ganz Europa und in den Grenzregionen zu erhöhen?

Und schliesslich ist die Schweiz ein Land der Wissenschaft und der Innovation. Das ist für uns ein strategisches Thema. Wie können wir unsere Rolle in der Welt in diesem Bereich noch effektiver und nützlicher gestalten? Wie können wir unser Image verbessern? Wie und mit welchen Mitteln können wir die Wissenschaftsdiplomatie unseres  Landes, die der Bundesrat fördern will, weiterentwickeln? Wo finden wir geeignete Partner?
Wie ist angesichts des verschärften Wettbewerbs das internationale Genf zu stärken und weiterzuentwickeln? Welche Strategie ist anzuwenden? Welche Vorteile sind auszubauen?
Mit diesen und ähnlichen Fragen werden wir uns in den nächsten Tagen beschäftigen.

Neben den vier Schwerpunkten nennt der Bundesrat eine zentrale Verpflichtung, die den «Kern» seiner Strategie ausmacht: Die Unterstützung für die Auslandschweizerinnen und -schweizer und die Schweizerinnen und Schweizer im Ausland ist nach Auffassung des Bundesrats eine vorrangige Aufgabe. Es gibt sehr viele Auslandschweizerinnen und  schweizer: mehr als 700 000. Zudem reisen die Schweizer gern. In einer zunehmend vernetzten Welt, in der alles schneller wird, brauchen wir für unsere Beziehungen zur Fünften Schweiz einen kohärenteren strategischen Ansatz. Zudem müssen wir für sie einen modernen und bedarfsgerechten öffentlichen Dienst von guter Qualität bereitstellen. Wir werden uns bemühen, dies insbesondere dadurch zu tun, dass wir mittelfristig elektronische Hilfsmittel einführen, um die Verfahren zu vereinfachen. Ein wichtiges Instrument dieser Politik wird das Auslandschweizergesetz sein, das das Parlament erarbeiten will. Ich bin froh, dass dieses Projekt gut gestartet ist und die Zusammenarbeit zwischen der zuständigen Subkommission des Ständerats und den zuständigen Diensten des EDA sehr zufriedenstellend verläuft. Im Zusammenhang mit diesem Gesetzesentwurf könnte im Hinblick auf schweizerische Reisende in instabilen und teils sogar gefährlichen Ländern auch präzisiert werden, wo die Grenzen staatlichen Handelns liegen und wie wichtig individuelles Verantwortungsbewusstsein ist. Überdies wäre darauf hinzuweisen, dass es unannehmbar ist, wenn die Schweiz als Staat aufgrund von – finanziellen und/oder anderen – Forderungen terroristischer Organisationen unter Druck gesetzt wird. Dieses Thema wird international eingehend diskutiert. Ihnen ist sicherlich bekannt, dass die Schweiz klar sagt, dass sie kein Lösegeld zahlt und dass sie auch in den beiden diesjährigen Fällen in Pakistan und Mali kein Lösegeld gezahlt hat.
Was ist zu diesem vierten Schwerpunkt und zu den Partnerschaften und strategischen Themen zu sagen? Welche neuen Fragen und Bedürfnisse sind festzustellen? Welche Fragen werden in zehn Jahren im Vordergrund stehen? Auch hier werden wir in den nächsten Tagen antizipieren müssen.
 
Meine Damen und Herren
Es gibt viel Arbeit. Sie ist spannend. Und sie ist sehr wichtig. Ich möchte, dass diese Botschafterkonferenz ein Erfolg wird. Wir haben die Konferenz nach Bern zurückgeholt und um einen Tag gekürzt, damit Sie mehr Zeit für Kontakte und die Zusammenarbeit mit der Bundesverwaltung haben. Die Konferenz wird ein Erfolg sein, wenn sie Denkanstösse gibt und uns erlaubt, neue Ideen für die Strategie für das kommende Jahrzehnt zu entwickeln. Mit Sicherheit werden Sie dazu beitragen. Mit Sicherheit wird uns der Nachwuchs dabei unterstützen. Die Konferenz wird ein Erfolg sein, wenn sie uns zum Nachdenken über alle diese Themen anregt, und zwar zu einem Nachdenken, das dank der Informatik auch nach der Konferenz weitergehen kann. Die Informatik führt manchmal dazu, dass wir Langfristiges vergessen, denn mit Tweets und Blogs kann man in einer nahezu absoluten Unmittelbarkeit leben und reagieren. Doch andererseits kann uns die Informatik auch bei der Vernetzung helfen, die eine Reflexion über längere Zeiträume ermöglicht, zum Beispiel im Rahmen der Plattform CH@World. Wir würden es begrüssen, wenn die während der Konferenz skizzierten Debatten auf dieser Plattform fortgeführt werden.

Wie der bereits zitierte Lyriker ganz richtig sagte: «Der Weg entsteht beim Gehen». Machen wir uns also auf den Weg und an die Arbeit! Gestalten wir das kommende Jahrzehnt so, dass unser Land frei und verantwortungsbewusst, sicher und wohlhabend bleibt und dass es die Freiheit der anderen respektiert und fördert. Ich danke Ihnen von ganzem Herzen für Ihr bisheriges und künftiges Engagement.


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Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten


Letzte Aktualisierung 29.01.2022

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