20.07.2018

Isone, 20.07.2018 - Rede von Bundesrat Ignazio Cassis anlässlich der offiziellen Brevetierung der Grenadiere - Es gilt das gesprochene Wort

Rednerin/Redner: Departementsvorsteher, Ignazio Cassis

Egregi neo tenenti, cari festeggiati,
Autorità politiche, militari e religiose,
Stimati famigliari,
Gentili signore, egregi signori

«Gring ache u seckle» - die Deutschschweizer unter Ihnen kennen dieses geflügelte Wort. So reagierte die Schweizer Spitzenathletin Anita Weyermann 1997 spontan auf ihren Medaillengewinn an den Olympischen Spielen in Athen.
Dank ihres unglaublichen Willens und einem sensationellen Endspurt erkämpfte sie für die Schweiz eine Bronzemedaille. Die Formel wird immer noch verwendet: Sie hat Kultstatus. Traduit littéralement du Bernois on pourrait dire: « baisser la tête et courir ».  Une phrase devenue « culte » en Suisse alémanique. Elle nous incite à serrer les dents et aller au-delà de soi-même dans le but visé. «Gring ache u seckle», oder «sbassa la crapa e coor» - wie wir im Tessin sagen.

Ich glaube, dieses Bonmot ist im Leben - wie auch in der Armee - oft hilfreich. Trotzdem genügt es mir nicht.  Es soll noch ein kleinwenig angepasst werden, um auf Sie alle angewendet zu werden, nämlich « “Gring ufe u seckle»: «Lever la tête et aller au-delà de soi-même»!
Lassen Sie mich das erklären.

Eine Armee mit Köpfchen
Zunächst aber: Wieso hat mich Colonnello Guerini heute überhaupt eingeladen? Weil wir im Tessin sind? Weil wir beide uns kennen? Nein, meine Anwesenheit heute in Isone ist kein Fall von «Tessiner-Filz»: Ihr Schuldkommandant und ich kannten uns bis heute leider noch nicht. Ich freue mich, dass dies nun der Fall ist.

Colonnello Guerini hat mich angefragt, weil mein Departement, das EDA, eine enge Zusammenarbeit mit dem Kdo Spezialkräfte pflegt – und die Grenadierbataillone 20 und 30 gehören diesem Kommando an.

Le Commandement des Forces Spéciales se compose de personnel professionnel et de milice. Il est engagé en Suisse comme à l’Etranger avec les buts suivants:
• En Suisse, agir au profit des autorités civiles ou du commandement de l’armée en cas d’aggravation de la menace;
• A l’étranger, recherche de renseignements, assistance et protection au profit des autorités civiles, ainsi que sauvetage et rapatriement de citoyens suisses et assistance militaire.

Die Tätigkeit im Ausland hat einen direkten Draht zum EDA. Das sind keine Phantasieszenarien, sondern reelle Einsätze der Schweizer Armee.

Ein Beispiel sind sogenannte KMZ-Krisenvorsorgemissionen zugunsten einer Schweizer Vertretung im Ausland: Hier geht es darum, sich vor Ort ein Bild zu machen – zum Beispiel in Südkorea in Bezug auf die olympischen Winterspiele 2018 – im Rahmen der Vorbereitungsarbeiten zum Schutz der Schweizer Staatsangehörigen im Fall eines Krisenereignisses.  Ein weiteres Beispiel aus der nahen Vergangenheit ist der Schutz unserer Botschaft in Tripolis und die Evakuation des Schweizer Personals der Botschaft im Jahr 2014.

Für solche Aufgaben reicht «gring ache» eben nicht. Es braucht «Köpfchen». Die Zusammenarbeit zwischen dem Kdo Spezialkräfte und meinem Departement ist sehr gut. Wir schätzen die professionelle Arbeitsweise, wie auch die angebotenen Dienstleistungen. Auch mit Kollege BR Guy Parmelin verlaufen die zahlreichen Diskussionen über Sicherheitsthemen sehr konstruktiv.
Einsätze von Miliztruppen im Inland sind ohnehin eine grosse Leistung in und für die Schweiz: Wir können stolz sein! Die bekanntesten Einsätze sind die militärische Katastrophenhilfe oder der Assistenzdienst beim WEF in Davos.

Am Beispiel WEF lässt es sich gut verdeutlichen, wie unsere Armee hier eine Lücke füllt. Für einen solchen Anlass ziehen grössere Länder aus ihrem gesamten Staatsgebiet Polizisten zusammen, um am Konferenzort die Sicherheit zu gewährleisten. Die Schweiz macht das auch – zusätzlich kommt aber auch die Armee. Milizsoldaten übernehmen zum Teil Aufgaben, wofür in anderen Ländern ausgebildete Polizisten eingesetzt werden. Das ist nicht nur effizienter, sondern auch identitätsstiftend.
Auch hier gilt: «Gring ache» ist wichtig, reicht aber nicht. Es braucht «Köpfchen»; das heisst: «Gring ufe».

Die Schweizer Armee liefert einen essenziellen Beitrag an unsere Sicherheit. Der Frieden ist nicht gottgegeben! Die Friedensperiode, in der wir leben, ist – zurückblickend - eine historische Ausnahme und nicht die Regel.

Ich will nicht alarmistisch sein, aber wir dürfen nicht vergessen: 2012 gingen vielleicht einige von Ihnen an die Fussball-Europameisterschaft in die Ukraine. Zwischen dem Fussballfest 2012 und dem Konflikt in der Ostukraine lagen lediglich 2 Jahre. Das zeigt: Die Zeiten können sich rasch ändern - man muss vorbereitet sein. Am besten vorbereit ist man dann, wenn die richtigen Köpfe des Landes auch in der Armee sind.

Nebenwirkungen des Milizsystems
Wie stellt man genügend «Köpfchen» in der Armee sicher? Das Milizsystem fördert eine intelligente Armee, weil unsere Armee «intelligenztechnisch» die Schweizer Bevölkerung wiederspiegelt – zumindest den männlichen Anteil. Und da die Anzahl weiblicher Armeeangehörigen steigt, verbessern sich auch die Fähigkeiten unserer Armee. Gemischte Teams arbeiten bekanntlich besser.
Im Unterschied zu einer Berufsarmee bringt das Milizsystem mehr Know-How in die Armee – sowohl bei den Miliz- als auch bei den Berufskomponenten. Also eine Armee mit Köpfchen.

Das Milizsystem hat noch weitere positive «Nebenwirkungen». Es stärkt den Zusammenhalt in unserem Land. Die Milizarmee ermöglicht den Soldaten die Schweiz zu entdecken. Sie schafft enge Beziehung zwischen Menschen, Menschen aus allen sozialen Schichten, Kulturen und mit verschiedenen Mentalitäten. Aus Kameradschaft wird Freundschaft – und die hält oft ein Leben lang.

Und in der Armee lernen Sie auch Einiges für das Leben. Für mich persönlich war es «Leiden lernen ohne zu jammern»: eine Fähigkeit, die Grenadiere wohl besser beherrschen als viele andere!
Ich verspreche Ihnen: Sie werden aus Ihrer Zeit in der Armee weit mehr mitnehmen, als Ihnen heute bewusst ist. Wer über lange Zeit, auf engen Raum, in verschiedenen Sprachen, mit Personen aus verschiedenen Kulturkreisen, weit von Zuhause weg und meist übermüdet seinen Dienst absolviert, füllt seinen Erfahrungsrucksack mit den wertvollsten Einsichten, die man machen kann.

Diese Zeit ausserhalb der Komfortzone unterrichtet Sie in zwischenmenschlicher Diplomatie und Führung. Diese Zeit unter Druck verbessert ihre Sprach- und Menschenkenntnisse, strukturiert ihre Arbeitsweise, lehrt Sie Verantwortung für Menschen, Material und damit auch für Steuergelder zu übernehmen.
Diese Erfahrungen werden Sie mit ins zivile Leben mitnehmen und dort unmittelbar einsetzen können.

Das heisst für mich: Nicht nur die Armee profitiert vom Milizsystem, sondern die Zivilgesellschaft profitiert umgekehrt auch von der Armee.

Und als Liberaler ist für mich zentral: Ich bin überzeugt nicht nur das Ganze profitiert – es profitiert auch der Einzelne von der Armee.

Freiwillig - und darüber hinaus
Sehr geehrte Damen und Herren
Wer innerhalb unseres Milizsystems «Schweiz» freiwillig Aufgaben übernimmt, verdient grösste Anerkennung. Sie beginnen heute hierzu Ihren Weg!
Vor langer Zeit, als ich meinen Leutnant-Grad an der Artillerie RS auf dem Monte Ceneri abverdiente, durfte ich als Schularzt einen Monat lang in Isone die Grenadiertruppen betreuen.
In meinen ca. 850 Diensttagen habe ich es bei keiner anderen Truppengattung erlebt, dass ich einen Soldaten bei 39.8 Grad Fieber befehlen musste, im Bett zu bleiben. Da kam ich rasch zum Schluss: Grenadiere ticken anders.
Er erstaunt mich daher nicht, dass starke Persönlichkeiten aus der Politik wie aBundesrat Adolf Ogi, Ständerat Filippo Lombardi oder aNR und Unternehmer Peter Spuhler Grenadiere waren!

Milizssystem geht ohne die Familien nicht
Cari Tenenti
Ich fühle mich geehrt, heute hier anwesend sein zu dürfen. Ich möchte Ihnen im Namen des Gesamtbundesrates herzlich zur Brevetierung gratulieren und Ihnen vor allem dafür danken, dass Sie bewusst, einen besonders intensiven und fordernden Weg gewählt haben.
Ich bin fest überzeugt: Wer sich im Militär freiwillig engagiert, hat einen besonderen Funken in sich. Leute wie Sie können es nicht lassen. Sie werden zwangsläufig auch anderswo positiv auffallen.
Sie sind nicht «Ocean’s Eleven», sondern «Guerini’s Twelve» - und das ist viel besser!
Ich bin mir sicher, dass wir sie heute nicht zum letzten Mal feiern! Ich freue mich darauf, Sie bald - vielleicht in Rahmen eines politischen Milizamtes – wieder anzutreffen!

Zum Schluss möchte ich den anwesenden Familien und Freunden der «Invités d'honneur» danken.
Nicht weil Sie den weiten Weg ins Tessin auf sich genommen haben – dank NEAT ist es nämlich gar nicht mehr so weit weg –, sondern für Ihre Unterstützung dieser frischgebackenen Offiziere.
Das Milizsystem funktioniert ohne den Rückhalt der Familien und Freunde nicht – und auch Ihre Unterstützung muss gewürdigt werden.
Sie verzichten kumuliert seit nun 68 Wochen auf ihren Freund oder Familienmitglied. 17 Monate – das ist nicht wenig. Daher ist ihre Unterstützung umso weniger selbstverständlich.
Ich danke Ihnen sehr herzlich dafür!

Und jetzt hoffe ich, dass Sie nicht gleich das Tessin wieder verlassen - etwa nach dem Motto «Gring ache u seckle» -, sondern es sich hier im Süden etwas gutgehen lassen!

Besten Dank für die Aufmerksamkeit und ich bitte Sie um einen erneuten Applaus für die «Guerini’s Twelve»!


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Letzte Aktualisierung 29.01.2022

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