06.12.2019

Zürich, 6.12.2019 - Rede von Bundesrat Ignazio Cassis - Es gilt das gesprochene Wort

Rednerin/Redner: Departementsvorsteher, Ignazio Cassis

Sehr geehrte Frau Regierungsrätin, liebe Silvia Steiner
Sehr geehrter Rektor der Universität Zürich, Michael Hengartner
Sehr geehrter Dekan der Philosophischen Fakultät, Jonas Klaus
Gentile direttrice del Romanisches Seminar, cara Tatiana Crivelli
Sehr geehrte alt Nationalrätin, cara Barbara Schmid-Federer
Excellencies
Mesdames et Messieurs, en vos respectives titres, qualités, grades et fonctions
Signore e signori

1. Vielfalt in der Einheit

«Rose is a rose is a rose is a rose».

Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose ist eine Rose. Auch wenn sie 125 Jahre alt ist! Der berühmte Satz der amerikanischen Schriftstellerin Gertrude Stein passt sehr gut zu diesem feierlichen Anlass: 125 Jahre Romanisches Seminar – oder kurz «RoSe»: herzlichen Glückwunsch!

Es freut mich sehr, heute Abend bei ihnen sein zu dürfen.

Erstens, weil ich selbst hier in Zürich studiert habe. Nicht weit weg von der RoSe habe ich gelernt, Leichen zu sezieren. Und bei der Kantine des heutigen Careums habe ich Studierende aller Fachrichtungen getroffen. Auch diejenigen aus der bunten RoSe.

Sie sprachen oft meine Muttersprache – und mit 19 Jahre genügte ein Wort auf Italienisch, um Sehnsucht nach Süden zu verspüren. Sie sprachen aber auch rätoromanisch, französisch, spanisch, portugiesischen, rumänisch. Und sogar – habe ich heute gelernt – weitere Minderheitssprachen wie katalanisch oder galicisch.

Eine breite Vielfalt und gleichzeitig eine Einheit - mit einer RoSe sehr schön abgebildet.
Eine besondere Art des «Turmbau zu Babel» – wo man sich trotz der unterschiedlichen Idiome versteht. Und das ist der zweite Grund, wieso ich heute Abend so gerne hierher gekommen bin.

Einheit in der Vielfalt ist das Motto, das mich täglich bewegt:

Unus pro omnibus, omnes pro uno
Un pour tous, tous pour un
Uno per tutti, tutti per uno
In per tuts, tuts per in
Einer für alle, alle für einen

Diese historische Kurzformel gilt als Zweck der eidgenössischen Bündnispolitik. Von der Spitze der Bundeshauskuppel aus dominiert dieses Motto in der Mitte aller kantonalen Wappen. In meinen 10 Jahren als Parlamentarier habe ich diesen Satz tausende Mal gelesen!

Vielleicht wissen nicht alle, dass dieses Motto im 19. Jahrhundert populär wurde, nachdem Herbststürme 1868 in den zentralen Schweizer Alpen, und insbesondere im Kanton Tessin, zu grossen Überschwemmungen geführt hatten. Der Bundesrat erliess daraufhin einen Spendenaufruf an das Schweizer Volk. Die Presse beteiligte sich am Spendenaufruf und verwendete dabei diesen Wahlspruch.

Aber das Motto liegt mir besonders am Herzen, weil es den Zusammenhalt unseres Landes perfekt beschreibt. In meiner Rolle als Bundesrat bin ich – wie meine 6 Kolleginnen und Kollegen auch – verantwortlich für den nationalen Zusammenhalt. Als italienischsprachiger Bundesrat fühle ich mich persönlich noch mehr dafür verantwortlich. Bei meiner Wahl habe ich versprochen, mich für die Minderheitensprachen und für die Randregionen einzusetzen.
«Die Schweiz ist eine Einheit, geschmiedet aus sprachlicher und kultureller Vielfalt, mit der Freiheit als verbindendem Wert» - so habe ich mich damals geäussert.

Meine Damen und Herren

Es geht nicht nur um den Schutz von sprachlichen Minderheiten – es geht um unsere DNA, unsere Existenz und unsere Reputation auf der Welt.

Le multiculturalisme est sans doute ce qui définit le mieux la Suisse, ici et à l’étranger. C’est dans le soin quotidien qu’elle met à faire coexister des langues et des cultures différentes que la Suisse s’est forgée son rôle de médiatrice, si apprécié au niveau international. Cet effort continu de compréhension interculturelle nous a permis de renforcer au cours des siècles nos compétences dans l’art du dialogue et du compromis. Grâces à ces compétences nous sommes reconnus comme un interlocuteur crédible, qui assure une coexistence pacifique entre cultures différentes.
Nous pouvons ainsi offrir nos bons offices dans le monde entier.

2. Il ruolo delle cattedre

Institute wie das Romanische Seminar spielen eine unentbehrliche Rolle bei der Förderung unseren Multikulturalität. Das RoSe bringt die französische, italienische und rätoromanische Kultur in den grossen deutschsprachigen Raum von Zürich. Das Institut bringt diese Vielfalt in Einklang mit anderen Kulturen.

Und weil unsere Gesellschaft mobiler wird, ist diese Funktion noch wichtiger. Die Minderheitssprachen werden nämlich immer öfters ausserhalb ihrer Ursprungsgebiete gesprochen. Denken Sie bspw. daran, dass mehr als die Hälfte (52.9%) aller italienischsprachigen Schweizerinnen und Schweizer heute nicht im Tessin oder im Graubünden leben.

Kein Zufall also, dass der Europarat und die UNO in ihren Evaluationen der Menschenrechte und des Minderheitenschutzes in der Schweiz eine besondere Empfehlung machen: Die Minderheitensprachen sollen auch ausserhalb der Ursprungsgebiete gefördert werden. In der Bundesverwaltung, in anderen Kantonen und in den grossen Städten wie Zürich. 

Diese Situation ist zwar eine Herausforderung – gleichzeitig aber eine unglaubliche Chance. Denn sie entspricht unserer Einzigartigkeit: Mehrsprachigkeit bedeutet in der Schweiz Koexistenz, Zusammenhalt, Kohäsion. Und nicht nur eine mehr oder weniger gute Nachbarschaft. Auch kein separativer Bi- oder Multilinguismus, wie es von Sprachwissenschaftlern genannt wird und wie er in anderen Ländern existiert. Mit anderen Worten: Die Schweiz ist ein mehrsprachiger Organismus und nicht ein Konstrukt aus einsprachigen Teilen. Das ist kein sekundärer Faktor, sondern ein zentrales Element unseres Bestehens und unserer Reputation.

Pour vous le dire encore mieux, j’utiliserai les mots de Lorenzo Tomasin, professeur à l’Université de Lausanne:

«Grâce au cadre linguistique particulier de la Confédération, aucun des grands pays frontaliers ne pourrait envisager la Suisse comme un appendice ou un satellite socioculturel proprement dit. En ce sens, le plurilinguisme n’est pas seulement un élément caractérisant, mais aussi une véritable garantie de liberté ».

3. Il tesoro più prezioso

Signore e signori

Vorrei concludere con una lode allo studio. Lo studio è per me il tesoro più grande, l’unica proprietà che nessuno potrà mai toglierci. Sempre, nel mio percorso professionale, ho voluto mettere l’accento su questo aspetto. Anche oggi, nella mia funzione di capo del Dipartimento federale degli Affari Esteri.
Ogni anno definiamo nel Dipartimento tre obiettivi quale guida per tutti i collaboratori e le unità, le quali li declinano poi secondo le relative competenze. Ebbene, c’è un obiettivo che ritorna ogni anno, nel 2019 come nel 2020: vorrei fare del DFAE una vera “lernende Organisation”, un’entità che non smette mai di apprendere.

Imparare dagli errori, ampliare il proprio spettro di competenze, sviluppare il pensiero critico, sapersi esprimere in modo efficace, usare le parole con piena consapevolezza del loro significato, saper decodificare un testo e i suoi meccanismi. Tutti aspetti per me centrali. Come potete immaginare, è ancora più ambizioso – e certamente più arricchente – sviluppare questi aspetti in un ambiente professionale dove ogni giorno si mescolano tre lingue ufficiali: tedesco, francese e, sebbene in misura minore, anche l’italiano. Senza dimenticare l’inglese, lingua franca della diplomazia.

Credo che non siano pochi i parallelismi con il RoSe, dove, in un contesto di mescolanza linguistica, si imparano molte delle competenze che ho descritto. Chi pensa che lo studio delle materie filologiche e letterarie non sia al passo con i temi, si sbaglia di grosso. Poiché mai come oggi un uso sapiente della parola è fondamentale. È attraverso la parola che tutto accade. È attraverso la parola che interagiamo. È la parola a definire quello che siamo e quello che vediamo.

«Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose ist eine Rose» – ho detto in entrata.

Ora aggiungo: «Quand vous devenez pessimiste, regardez une rose» - comme nous le conseillait Albert Samain.

E se son rose, fioriranno! Wenn es Rosen sind, werden sie blühen!

Alles Gute und auf weitere 125 Jahre!


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Letzte Aktualisierung 29.01.2022

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