08.06.2018

«Die Nordwestschweiz im Kontext der Schweizer Aussenpolitik»

Speaker: Pascale Baeriswyl

Sehr geehrte Regierungspräsidentinnen, Monsieur le Président,

Sehr geehrter Herr Landammann,

Sehr geehrte Regierungsräte und Regierungsrätinnen,

Sehr geehrte Damen und Herren Staatsschreiber,

Sehr geehrte Damen und Herren

Tout d’abord, je voudrais adresser une salutation particulièrement chaleureuse aux représentantes et représentants du Canton du Jura, vous demandant en même temps votre indulgence par rapport au fait que – comme bâloise à la Nordwestschweizer Regierungskonferenz – je me permettrai de parler allemand.

 

Sehr geehrte Damen und Herren

«Now is the greatest time to be alive», sagte Ende 2016 der damalige US Präsident Obama. Tatsächlich geht es der Welt – vergleicht man mit vor 50, vor 30 oder auch nur vor 10 Jahren - gemessen an fast allen Indikatoren - von extremer Armut über Kindersterblichkeit, Gewalt, Analphabetismus, Demokratie, Prosperität etc. - unglaublich viel besser.

Und als Schweizerinnen und Schweizer dürfen wir uns ob diesem Fortschritt besonders freuen: Unser Land führt regelmässig die Rankings in Wettbewerbsfähigkeit und Innovation. Die ETH-Physikerin Ursula Keller wurde gestern gar mit dem Erfinderpreis in der Kategorie Lebenswerk ausgezeichnet, und die ETH Zürich als 7. beste Hochschule der Welt klassiert. Wir sind auch unter den Top Ten gemäss Human Development Index, Demokratie- oder Antikorruptionsindex, aber auch was die Einkommen betrifft und sogar bezüglich unseres Glücksgefühls. Die Nordiker Norwegen, Dänemark und Island haben uns zwar – trotz dunkler Winter – überholt, doch wir gehören nach wie vor zu den «Happiest Nations».

Und Sie, die Nordwestschweiz – und damit gleichen wir den kleinen Zürcher Rückschlag von vorher wieder aus - sind sogar besonders erfolgreich: Die BaselArea.Swiss gilt als die dynamischste Wirtschaftsregion der Schweiz. Und gemäss Mercer City Ranking liegt Basel – das höre ich als Einwohnerin besonders gerne - weltweit unter den zehn Städten mit der höchsten Lebensqualität.

Doch erstens soll man bekanntlich nur jenen Statistiken trauen, welche man selber gefälscht hat. Und zweitens kontrastiert dieser auf den ersten Blick unaufhaltsame Fortschritt mit Gegentrends, die wir ernst nehmen müssen. Unsere «greatest time to be alive» ist eine Zeit des Umbruchs: Elend, Ungleichheit, Gewalt und Korruption sind in der globalisierten Welt stets «just next door» anzutreffen. Und das gilt gleichermassen im Verhältnis zum globalen Süden wie bezüglich der Unterschiede innerhalb unserer sogenannten «entwickelten» Welt. Gemäss OSZE ist das Gefälle zwischen Arm und Reich in den meisten Staaten auf einem Höchststand seit 30 Jahren. Mittelfristig birgt dieser Trend für die betroffenen Staaten und für die internationale Gemeinschaft enorme soziale, politische und wirtschaftliche Risiken.

Die Schweiz mag im internationalen Vergleich eine «Insel der Glückseligen» sein; aber sie ist eben keine Insel, denn ihre Sicherheit und ihr Wohlstand hängen von guten und engen Beziehungen mit den europäischen und internationalen Partnern ab. Und unsere Lebensqualität basiert massgebend auf der Stabilität und Prosperität des Umfelds, einer nachhaltigen, völkerrechtsbasierten multilateralen Ordnung. Und diese Relevanz des globalen Kontexts für die Zukunft unseres Landes ist ein zentraler Punkt, den ich in meinen folgenden Ausführungen vertiefen möchte.

Im strategischen Positionspapier 2014-2018 der Nordwestschweizer Regierungskonferenz lese ich, dass die beteiligten Kantone ihren Willen bekräftigen, «die erfolgreiche grenzüberschreitende Zusammenarbeit am Oberrhein (…) fortzusetzen und zu vertiefen».

Dieses Bekenntnis zur Kooperation mag auf den ersten Blick banal klingen. Gerade hier im Nordwestschweizer Dreiländereck, wo man im Tram über die Grenze fährt und internationale Pharma-Unternehmen am Standort Basel Mitarbeitende aus über 90 Nationen beschäftigen. Gerne würden man also sagen: Grenzüberschreitende Lösungen für grenzüberschreitende Herausforderungen, what else? So jedenfalls müsste man meinen!

 

(I) «Welcome to the multilateral disorder»

Denn – ob wir vom Klimawandel oder von Migration sprechen; ob es um Terrorismus oder die seit zehn Jahren wieder dramatisch zunehmende Zahl blutiger Konflikte geht; ob wir an Bedrohungen oder auch Opportunitäten im Cyberraum denken: alle aktuellen und noch mehr die künftigen Herausforderungen, die Risiken wie die Chancen, respektieren keine nationalen Grenzen. Die Weltgemeinschaft ist im global village zu einer Schicksalsgemeinschaft geworden – sie ist quasi zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit «verurteilt».

Tatsächlich und leider ist die zwischenstaatliche Kooperation als zielführendste Form der Interessenpolitik auf dem internationalen Parkett längst nicht so evident und unbestritten, wie Sie es hier in der Nordwestschweiz ganz natürlich jeden Tag vorleben.

Präsident Macron hatte am WEF Anfang Jahr den Appell «Our planet first!» geprägt, um sich vom bekannten Wahlkampfslogan von Präsident Trump, der in vielen europäischen Staaten ein Echo gefunden hat, abzugrenzen. Er spielte damit auf die meiner Meinung nach aktuell grösste aussenpolitische Herausforderung an: Den zunehmenden Verlust des Selbstverständnisses einer Welt als Gemeinschaft, welche in einem völkerrechtlichen, werte- und regelbasierten Rahmen Interessen und Konflikte gemeinsam angeht. Ohne dieses Bekenntnis zur Kooperation aber lassen sich grenzüberschreitende Herausforderungen heute nicht mehr bewältigen.

Was sind die geopolitischen Symptome dieser Entwicklung?

  • Die multilaterale Ordnung – es ist inzwischen ein Allgemeinplatz - steht erheblich unter Druck. Beispiele dafür gibt es jeden Tag ein paar neue: Von der russischen Annexion der Krim, einer groben Verletzung der UNO Charta, über den US-Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen, aus dem Trans-Pacific Partnership (TPP) und jüngst aus dem Nukleardeal mit dem Iran bis zu den Kürzungen der Beiträge für multilaterale Organisationen wie die UNO (durch die USA) oder den Europarat (durch die Türkei und Russland). Zudem: die Schwächung der universellen Menschenrechte durch deren Re-Interpretation (bspw. durch China), die systematische Verletzung des humanitären Völkerrechts bsp. durch Spitalbombardierungen in bewaffneten Konflikten (leider durch fast alle militärischen Mächte) oder die verstörenden Verstösse gegen das Chemiewaffenverbot in Syrien oder England, das wir seit 20 Jahren für garantiert hielten. Und schliesslich im wirtschaftlichen Bereich die jüngste Wiedereinführung von Schutzzöllen durch die USA, welche zu Gegenmassnahmen – aber vor allem zu einer ganz erheblichen Verschlechterung des politischen Klimas - geführt haben. Wir schauen heute deshalb gebannt nach La Malbaie zum G7 Gipfel.
  • Die Erosion der aktuellen, globalen Ordnung ist verbunden mit dem Terrainverlust unseres Erfolgsmodells von liberaler Demokratie, sozialer Marktwirtschaft und Multilateralismus. Boden gewinnen Gegenmodelle oder Gegenkonzepte, die immer öfters nationalistische und autoritäre Elemente verbinden. Innerstaatlich fehlen häufig Rechtsstaat und starke Institutionen. Und auf internationaler Ebene nimmt die konfrontationsbereite unilaterale Machtpolitik deutlich zu. Das sind Gegenkonzepte also, die wenig auf nachhaltige Gestaltung internationaler Beziehungen setzen und sehr viel zu opfern bereit sind.

 «Welcome to the multilateral disorder», hatte der Historiker und Publizist Timothy Garton Ash bereits 2006 geschrieben. Und die EU-Aussenbeauftrage Francesca Mogherini sprach kürzlich besorgt von «confused, chaotic times (…) where conflictuality and confrontation seem to prevail over rationality”.

 

(II) Strategische Handlungsachsen

Was bedeutet diese etwas düstere geopolitische Zustandsdiagnose für unser Land bzw. für unsere Aussenpolitik? Was ist in dieser globalen Unordnung die richtige Strategie für die neutrale, international stark vernetzte Globalisierungsgewinnerin Schweiz? Und wie können wir – neben der richtigen Kalibrierung der Risiken - auch die zahlreichen Opportunitäten, die wir als Innovationsweltmeisterin, Wirtschaftsmacht mit unseren direkt-demokratischen Institutionen, einer vorbildlichen Kultur des Kompromisses und einer langjährigen humanitären und völkerrechtlichen Tradition erhalten, nutzen?

Zunächst einmal verfügt die Schweiz mit ihrer Verfassung - und das ist weniger selbstverständlich, als es tönt - über eine klare, weitsichtige und moderne aussenpolitische Vision. Diese formuliert ein ausbalanciertes Zusammenspiel zwischen Interessen und Werten, die gleichermassen die starke Marke Schweiz ausmachen. Die Verfassung formuliert folgende gleichwertigen Ziele unseres aussenpolitischen Handelns: Die Wahrung der Unabhängigkeit und den Einsatz für die Wohlfahrt, die Linderung von Not und Armut, die Förderung von Menschenrechten, Demokratie und Frieden sowie die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen.

Der Bundesrat hat dies zu Beginn seiner aktuellen Legislatur in eine aussenpolitische Strategie übersetzt. Sie bietet uns einen hervorragenden Kompass mit folgenden Handlungsachsen:

  1. Die Stärkung der Beziehungen zur Europäischen Union; sowie
  2. Die Stärkung der Beziehungen zu globalen Partnern; Einsatz für
  3. Frieden und Sicherheit; sowie jener für
  4. Nachhaltige Entwicklung und Wohlstand

In der multilateralen Unordnung garantiert diese strategische Ausrichtung einerseits Kontinuität und erlaubt es uns andererseits, in einem sich rasch wandelnden Umfeld flexibel auf Neuentwicklungen zu reagieren sowie Handlungsspielräume und Chancen nutzen kann.

Grundsätzlich gilt, dass für eine optimale Interessen- und Wertevertretung in einer interdependenten Welt die Schweiz aktiv in die Stärkung des multilateralen Systems, in eine solide Völkerrechtsordnung sowie in ein breites bilaterales und regionales Beziehungsnetz investieren muss. Wir müssen als Land, das nicht Teil von Bünden und Allianzen ist, unseren Beitrag an die globalen Güter leisten, um unseren Wohlstand und unsere Sicherheit zu verstetigen.

Doch was heisst das konkret? Ich gebe Ihnen gerne ein paar Beispiele:

Zunächst führen wir mit fast allen Ländern der Welt regelmässige politische Dialoge, die alle Bereiche umfassen: Im bilateralen Verhältnis stehen Fragen von Wirtschaft, Finanzen, Menschenrechte, Wissenschaft, Gesundheit, Kultur, Recht oder Migration im Vordergrund. Daneben werden die Zusammenarbeitsmöglichkeiten im regionalen und multilateralen Kontext erörtert. Nennen wir es einmal den regelmässigen «Medical Checkup» der diplomatischen Beziehungen. Selber führe ich rund 40 solcher Dialoge pro Jahr, seit Anfang Jahr bereits mit Irland, der Türkei, Spanien, Frankreich, Österreich, der EU, Belgien, Südkorea, China, Saudi-Arabien, Kuwait, Ägypten, Brasilien, Peru, Russland…. und bis zum Sommer werden der Iran, die USA und Japan noch dazu kommen.

Zwei Beispiele, weshalb diese Beziehungspflege äusserst nützlich sein kann:

  • So erlaubte der politische Dialog vom Januar mit der Türkei eine sehr schnelle und dezidierte Intervention im März, als sich die Hinweise auf Spionage verdichteten. Die Bundesanwaltschaft führt eine entsprechende Strafuntersuchung durch.
  • Und der politische Dialog von Aussenminister Cassis mit seinem chinesischen Amtskollegen im April legte den Grundstein für die – hoffentlich baldige - Verabschiedung einer Strategie des Bundesrats betreffend den Umgang der Schweiz mit der sogenannten «Belt and Road Initiative», dem wichtigsten Zukunftsprojekt der chinesischen Regierung.

Erlauben Sie mir weitere Beispiele zu den Handlungsachsen «europäische und globale Beziehungen», «Frieden, Sicherheit und nachhaltige Entwicklung»:

  • Im Zentrum stehen nach wie vor die guten, geregelten Beziehungen zur Europäischen Union, unserem wichtigsten politischen und wirtschaftlichen Partner. In diesem Kontext spielen die Nachbarstaaten und Nachbarregionen für uns eine besondere Rolle. Die Verhandlungen über ein Rahmenabkommen mit der EU sind in einer entscheidenden Phase. Herr Krimm wird in seinem Referat noch vertieft auf die Beziehungen mit der EU eingehen. Wir hoffen natürlich, dass es – nach der provisorischen Einigung bei der Streitbeilegung - auch bei den anderen offenen Punkten zu guten Lösungen kommen wird. Über den Europadialog mit den Kantonen halten wir Sie darüber regelmässig auf dem Laufenden.
  • In der UNO-Politik unterstützt die Schweiz die Reform-Agenda von Generalsekretär Guterres. Dieser nennt – neben der Effizienzsteigerung der Organisation, an der wir aktiv mitarbeiten - die Konflikt-Prävention als «priority of priorities». Prävention macht sowohl menschlich wie auch ökonomisch Sinn. Gemäss einer neuen Studie von Weltbank und UNO können durch jeden Dollar, der in die Konfliktprävention investiert wird, 16 Dollar bei der Konfliktbewältigung gespart werden. Die Schweiz ist hier Akteurin und Brückenbauerin zugleich. Wir engagieren uns einerseits in der Friedensförderung vor Ort - so bsp. in der Ukraine, Mosambik oder in Nepal - aber bieten auch immer wieder Plattformen für Friedensgespräche oder humanitäre Fragen als Gaststaat internationaler Organisationen in «Genève internationale», so beispielsweise im Fall der opferreichen Konflikte in Syrien oder Jemen.
  • Im Bereich der Guten Dienste können wir gerade in den letzten Tagen und Wochen zwei sehr schöne Erfolge verbuchen: Einerseits haben Saudi-Arabien und Iran im März die Schweiz formal und gegenseitig als Schutzmacht anerkannt. Der einzige Lichtblick der letzten Monate in dieser Weltregion, die sich mit einer stetig zunehmenden, gefährlichen Polarisierung konfrontiert sieht. Und andererseits konnte die Schweiz bei einem älteren Schutzmachtmandat – demjenigen zwischen Georgien und Russland – nach Jahren der Vermittlungsarbeit im Mai endlich von beiden Seiten eine formale Zusage zur Umsetzung eines Zollüberwachungsabkommens erwirken. Auch das ein seltenes, positives Zeichen.
  • Lassen Sie mich als letztes Beispiel die grossen Herausforderungen in der Migrationspolitik erwähnen, wo wir uns weltweit mit fast 70 Millionen Menschen auf der Flucht – der höchsten Zahl seit Ende des Zweiten Weltkriegs – konfrontiert sehen. Das Parlament hat uns beauftragt, unsere internationale Zusammenarbeit strategisch enger mit der Migrationspolitik zu verknüpfen. Diesen Auftrag nehmen wir sehr ernst und arbeiten deshalb im Migrationsbereich noch enger mit den Staatssekretariaten für Wirtschaft einerseits und für Migration andererseits zusammen. So investieren wir vermehrt in die Perspektiven vor Ort, beispielsweise über die Berufsbildung, prüfen neue Migrationspartnerschaften – aktuell mit Sri Lanka - und versuchen flüchtenden Menschen in ihrer Herkunftsregion zu helfen, damit sie nicht die gefährlichen Routen zum Beispiel übers Mittelmeer  in Angriff nehmen. An der UNO in New York findet momentan der wichtigste, internationale Verhandlungsprozess zur Migrationsgouvernanz statt. Unser Schweizer Botschafter führt diesen Prozess zusammen mit seinem mexikanischen Kollegen. Wir hoffen sehr, dass die internationale Gemeinschaft diese einmalige Chance, Antworten auf die schwierigen Herausforderungen der Migration zu geben, ergreifen wird.

Wichtig scheinen mir schliesslich zwei Lektionen in aussenpolitischer Bescheidenheit: Erstens lassen sich wesentliche Fragen zu künftigen Akteuren und Trends sowie deren Einfluss auf globale Entwicklungen in der bewegten und fragmentierten Welt nicht mit genügender Zuverlässigkeit vorhersagen. Und zweitens haben wir auf viele dieser Entwicklungen, die sehr plötzlich eintreffen können, keinen oder wenig Einfluss. Es ist deshalb mindestens so wichtig wie die längerfristigen Strategien, dass wir als Team – und damit meine ich sowohl die Zusammenarbeit innerhalb des Aussenministeriums, als auch jene zwischen den Departementen und mit den Kantonen - gut aufgestellt sind. Ein Teil unserer Aussenpolitik ist – und das ist überhaupt nicht neu - reaktiv.

Erlauben Sie mir nochmals zwei Beispiele:

  • So mussten wir uns im Kontext des Novitchok-Attentats gegen den ehemaligen russischen Geheimdienstoffizier Skripal im englischen Salisbury, welches den Graben zwischen dem «Westen» und Russland weiter aufriss, sehr kurzfristig und unter politischem Druck von allen Seiten positionieren. Und durch die falschen Aussagen des russischen Aussenministers über vermeintliche Testresultate des Labor Spiez wurde die Schweiz sogar direkt in die Affäre hineingezogen.
  • Oder – noch aktueller – die Nichtverlängerung des Waivers im Kontext der iranischen Sanktionen durch den US Präsidenten, führt zu einer Bedrohung unserer Firmen, die mit dem Iran wirtschaften, durch Sekundärsanktionen der USA. Wir müssen uns also momentan überlegen, wie wir diese bestmöglich unterstützen könnten.

Und hiermit komme ich zur Ursprungsaussage zurück, zur Relevanz des globalen Kontexts für die Zukunft unseres Landes. Die Schweiz ist momentan als glaubwürdige Akteurin, innovative Brückenbauerin oder als humanitäre Akteurin international hervorragend aufgestellt. Diese Position ist aber nur dann nachhaltig, wenn an ihr stets weitergearbeitet wird. Mit täglicher Knochenarbeit. Und häufig scheint sie auch ein wenig im Widerspruch zur innenpolitischen Wahrnehmung von kompletter Souveränität und Unabhängigkeit zu stehen. Der Leitsatz von Aussenminister Cassis – Aussenpolitik ist Innenpolitik – ist deshalb zentral. Wir müssen nicht nur täglich unsere internationalen Beziehungen pflegen, sondern auch täglich erklären, was wir tun und weshalb. Und bei beidem spielen Sie, sehr geehrte Damen und Herren, eine ganz zentrale Rolle.

 

(III) Nachbarschaftspolitik

Denn gute Beziehungen fangen in der Nachbarschaft an, das ist in der Aussenpolitik nicht anders als im Leben generell. Lassen Sie mich darum zum Schluss noch einen Blick auf die grenzüberschreitende Nachbarschaftspolitik werfen.

Die Schweiz ist ein «mediterranes» Land, jedenfalls im wortwörtlichen Sinne. Es liegt mitten (medium) im Land (terra), also mitten drin. Sie teilt mit ihren Nachbarn eine Grenze von knapp 2000 Kilometern. Entsprechend ist die Schweiz mit ihren Nachbarn eng verflochten – und das geht weit vor den Beginn der sogenannten «Globalisierung» zurück.

Diese Verflechtung betrifft – das wissen Sie besser als ich – alle Politikbereiche: Verkehr, Energie, Umwelt, Gesundheit oder Raumplanung. Sie ist natürlich auch wirtschaftlich: Schon nur der Warenaustausch der CH mit Baden-Württemberg entspricht beinahe unserem Handel mit China. Sie ist demografisch-gesellschaftlich: Mehr als 1 Mio. Staatsangehörige aus den Nachbarstaaten wohnen bzw. arbeiten als Grenzgängerinnen und Grenzgänger in der Schweiz. Umgekehrt leben über 300‘000 Schweizerinnen und Schweizer in den Nachbarstaaten. Und sie ist kulturell: Über die Jahrhunderte ist eine gemeinsame Identität entstanden. Grenzüberschreitende Regionen verstehen sich immer mehr als zusammengehörige Lebensräume, Grenzen hin oder her.

Wo stehen wir bei den konkreten Dossiers der grenzüberschreitenden Nachbarschaftspolitik in der Nordwestschweiz:

  • Nach dem schönen Erfolg, den wir gemeinsam mit dem Übereinkommen zum Euroairport erzielen konnten, hat der Bundesrat vom so genannten Duron-Bericht zum Bahnanschluss Kenntnis genommen. Dieser wurde durch eine technische Arbeitsgruppe verfasst und zählt den EAP nicht zu den prioritären Infrastukturprojekten Frankreichs. Die Schweiz nutzt alle bilateralen Treffen, um den französischen Gesprächspartnern unsere Position zu kommunizieren: Ohne finanzielle Beteiligung durch den französischen Staat ist eine Mitfinanzierung auf Schweizer Seite durch den Bund in Frage gestellt. Wir machen uns also weiterhin dafür stark, dass Frankreich einen Teil der Finanzierung mitträgt.
  • Ebenfalls im Bereich Bahnverkehr und vor der Fertigstellung des Vierspurausbaus der Oberrheinstrecke (voraussichtlich 2035) prüft die Schweiz derzeit gemeinsam mit Deutschland kurz- und mittelfristige Massnahmen zur Erhöhung der Güterverkehrskapazität auf der wichtigsten NEAT-Nordzulaufstrecke Karlsruhe – Basel. Anlässlich einer internationalen Transport-Konferenz haben sich die Verkehrsminister der Schweiz, unserer Nachbar- sowie der der Benelux-Staaten vor kurzer Zeit in einer Erklärung darauf geeinigt, Massnahmen zu treffen zur Stärkung des grenzüberschreiten Verkehrs, zur gegenseitigen Anerkennung technischer Standards sowie zur besseren Koordination von Baustellen. Ich denke, das ist nach all den Verzögerungen in diesem Dossier ein positiver Schritt.
  • Und schliesslich ist der Bundesrat zufrieden mit dem Abschluss des Rahmenabkommens Schweiz-Frankreich über grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich. Dieses ermöglicht, gemeinsame Projekte entsprechend den regionalen Bedürfnissen abzuschliessen. Wir gehen aber davon aus, dass die Kantone bald von diesem neuen Instrument profitieren und konkrete Projekte umsetzen können.

Damit komme ich zum Schluss. Im Global Village sind wir in gewissem Sinne alle Nachbarn von allen geworden. Nicht alle Akteure nutzen und pflegen diese Nachbarschaften aber so gut wie Sie in der Nordwestschweiz. Längst reicht die grenzüberschreitende Zusammenarbeit des Metropolitanraums Basel weit über die Region Oberrhein, ja weit über Europa hinaus: Im Bereich Kunst und Kultur zieht die Art Basel mit ihren langjährigen Ablegern in Miami Beach und Hongkong eine Achse über drei Kontinente. Im Bereich Wissen und Innovation spannt Basel über Städtepartnerschaften ein Kooperationsnetz von Massachusetts nach Shanghai. Und die beiden Basel kooperieren u.a. in den Bereichen Biotech und Pharma mit der japanischen Präfektur Toyama.

Ich kann sie dazu nur beglückwünschen und ermuntern, dieses globale Networking weiter auszubauen. Und ich möchte Sie darin bestärken, die internationale Positionierung nicht als je einzelne Kantone zu betreiben, sondern vermehrt noch als Region. Die gemeinsame Innovationsförderung und Standortpromotion BaselArea.Swiss beispielsweise, der Verbund der Nordwestschweizer Kantone Basel-Stadt, Basel-Landschaft und Jura mit Unterstützung des SECO, hat sich diesbezüglich offensichtlich sehr bewährt.

Gut soll die «Nachbarschaft» auch zwischen Bundesbern und Kantonen bleiben. Unser Departement und ich stehen Ihnen jederzeit zur Verfügung, wenn wir Sie unterstützen können. Ich denke, die Zusammenarbeit war bisher hervorragend und auch erfolgreich. Lassen Sie uns das weiter pflegen.

Und last, aber sicher nicht least: Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten pflegt seit Jahrzehnten die Tradition regelmässiger sog. Botschafter- und Aussennetzkonferenzen. Höchste Zeit also, dass diese Botschafterkonferenz einmal am Rheinknie ausgerichtet wird. Dies wird nun dieses Jahr im August der Fall sein. Wir wollen die BOKO 2018 dafür nutzen, um von der Erfahrung der Kantone zu profitieren. Ich freue mich darum sehr, einige von Ihnen bald schon wieder zu sehen! Herzlichen Dank für Ihr Interesse.


Last update 29.01.2022

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