Der Sonderbeauftragte des Bundesrats für globale nachhaltige Entwicklung, Botschafter Michael Gerber, nimmt Stellung zu den neuen Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs).
Michael Gerber, wenn Sie jetzt mit etwas Abstand auf die Verhandlungen zur Agenda 2030 zurückblicken: Was war das prägendste Erlebnis?
Sicherlich der Verhandlungsabschluss am 2. August 2015 in New York. Nach einem intensiven dreijährigen Prozess mit wiederholten Phasen zähen Ringens fiel der Hammer der Verhandlungsleiter endgültig und die Agenda 2030 war geboren. Diesen Moment hatte ich mir seit 2012 immer wieder vorzustellen versucht. Dabei war es noch bis im Sommer 2015 ungewiss, ob er jemals eintritt. Dann war es endlich soweit und die Staatengemeinschaft hat bewiesen, dass sie noch fähig ist, sich zu ehrgeizigen multilateralen Abkommen zusammenzuraufen.
Die Schweiz war eine treibende Kraft bei der Ausarbeitung der neuen Agenda und der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung. Was tut sie jetzt, um die Ziele umzusetzen?
Die Schweiz setzt sich dafür ein, dass die aktuelle positive Stimmung auf internationaler Ebene im Zusammenhang mit diesen Zielen nun auch auf die nationale Ebene übertragen werden kann. Kaum war das Gipfeltreffen zu Ende, haben wir mit den Arbeiten für die Umsetzung der Agenda 2030 begonnen. In den kommenden Monaten werden mit der Botschaft über die internationale Zusammenarbeit der Schweiz 2017-2020 sowie der Strategie Nachhaltige Entwicklung 2016-2019 erste Richtungsentscheide gefällt. In den kommenden zwei Jahren wird die Schweiz festlegen, welche konkreten Massnahmen sie ergreift, um zur Erfüllung der 17 Ziele und 169 Unterziele beizutragen. In der Folge wird sie der UNO regelmässig darüber Bericht erstatten.
Muss die Schweiz denn jetzt alles anders machen?
Nein, das muss sie nicht. In einigen Zielbereichen wird es sicherlich ausreichen, ihre bisherige, bereits fortschrittliche Politik fortzusetzen. In anderen wiederum wird die Schweiz versuchen, noch konkreter und konsequenter auf nachhaltige Rezepte zu setzen, beispielsweise in der Produktion oder beim Konsum. Die universell gültigen Ziele für nachhaltige Entwicklung sowie die Indikatoren müssen aber zunächst überall den nationalen Gegebenheiten angepasst werden. So wird die Reduktion der Armut in der Schweiz, gemessen an der nationalen Armutsgrenze, selbstverständlich etwas Anderes bedeuten als in einem Entwicklungsland.
Wie kann sichergestellt werden, dass die Agenda von allen als verbindlich betrachtet wird? Kritiker sagen, die Agenda 2030 sei zwar gut gemeint, aber letztlich nicht viel Wert, da keine Sanktionsmöglichkeiten vorgesehen sind, wenn die Staaten die Ziele nicht erreichen.
Die Agenda 2030 sieht vor, dass künftig in allen Ländern und Regionen Fortschritte gemessen werden. Die Staaten sind aufgefordert regelmässig darüber Rechenschaft abzulegen, welche Beiträge sie zu den einzelnen Zielen leisten. Dadurch entsteht eine Art „peer pressure“, weil die Länderbeiträge transparent werden und man auch sehen wird, wenn ein Land wenig oder nichts für die Erreichung eines oder mehrere Ziele tut. Indem bei der Umsetzung und Überprüfung neu die Zivilgesellschaft einbezogen wird, kann diese ihre wichtige Advokatenrolle wahrnehmen und ein entsprechendes Engagement der Staaten einfordern. Hinzu kommt die Etablierung eines Nachhaltigkeitsreportings im Privatsektor: Die Zahl von Firmen, die bereit sind, sich künftig an Nachhaltigkeitskriterien messen zu lassen und entlang der SDGs Bericht zu erstatten, nimmt laufend zu. Oft zeitigen solche freiwilligen Systeme letztlich bessere Resultate als rechtlich verbindliche Abkommen und UNO-Resolutionen.