Dürre, Covid-19 und Konflikt in Afghanistan: die Schweiz hilft Perspektiven zu schaffen

Afghanistan leidet unter den Folgen von über vier Jahrzehnten Krieg. Gerade in solch einem fragilen Kontext kann die Kombination von Entwicklungszusammenarbeit und Humanitärer Hilfe grosse Unterschiede für die Bevölkerung vor Ort machen, sagt Patricia Danzi, Direktorin der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), die sich ein Bild der Herausforderungen vor Ort machte.

Drei Kinder schauen von einer Anhöhe auf die afghanische Hauptstadt Kabul.

Mit dem Engagement für Rechtsstaatlichkeit, Schutz, Ernährungssicherheit und Grundbildung schafft schafft die Schweiz Perspektiven für die Menschen in Afghanistan. © Keystone

Die Bevölkerung Afghanistans blickt auf vier schwierige Jahrzehnte zurück. Infolge verschiedener Konflikte seit den 1980er-Jahren gehört Afghanistan heute zu den wirtschaftlich und sozial am wenigsten entwickelten Ländern weltweit. Bis zu 90% der Bevölkerung sollen in Afghanistan von weniger als 2 USD pro Tag leben. Mit dem andauernden Konflikt zwischen den Taliban und den afghanischen Regierungstruppen sowie den Folgen der Covid-19 Krise und des Klimawandels sind die Perspektiven für die Bevölkerung des Staats am Hindukusch düster. Die anhaltenden Dürren gefährden die Ernährungssicherheit der über 30 Millionen Menschen im Land. «In einer solchen Situation braucht die afghanische Bevölkerung Zukunftsperspektiven, die Aussicht auf Frieden und Partner wie die Schweiz, die sich langfristig engagieren», sagt Patricia Danzi.

In einer solchen Situation braucht die afghanische Bevölkerung Zukunftsperspektiven, die Aussicht auf Frieden und Partner wie die Schweiz, die sich langfristig engagieren.
Patricia Danzi, DEZA-Direktorin
Blick auf ein Weizenfeld und einen Bewässerungskanal in einer ariden Gegend Afghanistans.
Dank einem durch die Schweiz mitfinanziertem Bewässerungskanal wächst in einem Tal in der Provinz von Kabul wieder Weizen. © Keystone

Seit den 1990er-Jahren unterstützt die DEZA mit humanitärem Engagement und einem breit gefächerten Entwicklungsprogramm die afghanische Bevölkerung. Seit 2002 ist die Schweiz mit einem Kooperationsbüro in Kabul vertreten, das durch alle Krisen und Konflikte Präsenz und Engagement signalisiert.

Fünf Tage in Afghanistan

Während ihres fünftägigen Aufenthalts in Afghanistan im Juni 2021 besuchte DEZA-Direktorin Patricia Danzi in der Provinz von Kabul ein Tal, dessen Boden aufgrund von Dürren zu trocken war, um Nahrungsmittel anzubauen. Dank eines Bewässerungskanals, der mit Schweizer Geldern durch das World Food Program (WFP) in diesem Tal errichtet wurde, ist der Boden für die Bäuerinnen und Bauern in der Region wieder fruchtbar. Gleichzeitig erlaubte der Bau des Kanals Binnenvertriebenen während einigen Monaten eine Arbeit mit Einkommen. 

Ein Junge mit einer Beinprothese sitzt auf einem Bett.
In Herat im Westen Afghanistans stellt das IKRK mit Schweizer Unterstützung der Bevölkerung Prothesen zur Verfügung. © DEZA

Seit 40 Jahren bleibt jedoch der Krieg der entscheidende Faktor für das Leid der Bevölkerung. Der Besuch der DEZA-Direktorin eines Rehabilitierungszentrums des Internationalen Kommitees vom Roten Kreuz (IKRK) in Herat im Westen Afghanistans illustrierte dies hautnah. Seit 30 Jahren stellt hier das IKRK mit Schweizer Unterstützung nicht nur Prothesen und Physiotherapiezur Verfügung, sondern fördert auch soziale und wirtschaftliche Integration der Betroffenen. Von diesem Programm haben bisher rund 250'000 Menschen im ganzen Land profitiert. 

Bei Treffen mit Vize-Präsident Saleh, dem Flüchtlings- und Repatriierungsminister Akhlaqi, dem Finanzminister Payenda und mit Vertretern von NGOs unterhielt sich Patricia Danzi über die  politische Lage und die sich verändernden Bedürfnisse der Bevölkerung im Land. Die Vertreter der afghanischen Behörden aber auch die nationalen und internationalen Partner-NGOs unterstrichen dabei, wie wichtig die Schweizer Präsenz  für eine wirksame Entwicklungszusammenarbeit in Afghanistan ist, um Leid zu lindern und Menschenleben zu schützen. 

Rechtsstaat und Schutz von Menschen in Not

Im Zentrum des Engagements der DEZA für Rechtsstaatlichkeit und Schutz in Afghanistan stehen die Grundrechte von Menschen. Allem voran betrifft dies den verbesserten Zugang zu rechlichen Dienstleistungen für Frauen und Männer. Zudem setzt sich die Schweiz für institutionelle Reformen des afghanischen Justizssytems ein. Zum Beispiel hat sie zur Schaffung von Gerichten in 16 Provinzen beigetragen, welche sich auf Fälle von Gewalt gegen Frauen spezialisieren. Die Schweiz unterstützt dafür finanziell, politisch und praktisch die Nationale Menschenrechtskommission Afghanistans (Afghanistan Independent Human Rights Commission, AIHRC).

Auf politischer Ebene setzt sich die Schweiz für den Schutz und die langfristige Reintegration von Binnenvertriebenen und Rückkehrern aus dem Ausland sowie einem besseren Zugang zu Humanitärer Hilfe ein.

Landwirtschaft und Management natürlicher Ressourcen

Konflikt, Klimawandel und deren Folgen wirken sich negativ auf die Ernährungssicherheit in Afghanistan aus. Die Schweiz geht diese Problematik auf zwei Ebenen an: Einerseits arbeitet sie in abgelegenen und bergigen Gebieten, z.B. in den Provinzen Dajkundi, Paktia und Khost mit Kleinbauern zusammen, um diese durch die nachhaltige Bewirtschaftung ihrer Ressourcen auf die Auswirkungen von Naturgefahren und des Klimawandels, wie zum Beispiel Überschwemmungen oder Dürren, vorzubereiten. Damit können die Kleinbauernfamilien ihre Produktion steigern und Ernteausfälle werden verhindert. Andererseits stärken Schweizer Projekte auf institutioneller Ebene die öffentlichen Dienstleistungen des afghanischen Staates für Kleinbäuerinnen und Kleinbauern.

Grundbildung

Bereits vor der Covid-19-Pandemie hatten 3.7 Millionen afghanische Kinder keinen Zugang zum Schulunterricht. Diese bereits grosse Bildungslücke in der Gesellschaft wird in Zukunft durch Schulschliessungen 2020 aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus wohl noch grösser. Die Grundbildung nimmt nicht nur für das Wohlergehen und Zukunft der Kinder eine wichtige Rolle ein, sondern auch für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung eines Staates. Die Schweiz setzt sich deswegen in Afghanistan für die Verbesserung des Zugangs zu einer qualitativ hochwertigen Grundbildung für alle ein.

Mit ihren Projekten im Bildungsbereich für Kinder bis 12 Jahren stärkt die Schweiz den institutionellen Rahmen des afghanischen Bildungssystems: Im Dialog mit dem afghanischen Bildungsministerium fördert die Schweiz sichere Lernumgebungen. Zudem setzt sie sich für die Wiedereinschulung von Kindern in ehemaligen Kampfgebieten ein und unterstützt Afghanistan bei der Ausbildung und Beratung von Lehrkräften.

Warum sich die Schweiz auch in fragilen Kontexten engagiert

In einem fragilen Kontext wie Afghanistan verbindet die Schweiz humanitäres Engagement mit langfristig ausgelegter Entwicklungszusammenarbeit. Damit trägt die Schweiz dazu bei, dass der afghanischen Bevölkerung in ihrer Notlage kurzfristig geholfen werden kann und zugleich durch langfristiges Engagement für gute Regierungsführung und Bildung neues Vertrauen in öffentliche Institutionen und Zukunftsperspektiven entstehen können. Dies senkt nicht nur den Druck auf die irreguläre Migration, sondern erhöht auch die Chance, dass sich Afghanistan auf wirtschaftlicher und sozialer Ebene entwickeln und gegen Krisen widerstandsfähiger werden kann. Afghanistan ist entsprechend in der Strategie der Internationalen Zusammenarbeit 2021-2024 als eines der Schwerpunktländer aufgeführt.  

Ein strategischer Kompass für die internationale Zusammenarbeit der Schweiz

Die Reise von DEZA-Direktorin Patrizia Danzi nach Afghanistan ist Teil der Umsetzung der Ziele der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit. Die Stabilisierung von fragilen Ländern, wie Afghanistan, ist ihr ein wichtiges Anliegen, denn so werden Zukunftsperspektiven geschaffen und Not und Leid gelindert.

In seiner Aussenpolitischen Strategie 2020–2023 (APS) legte der Bundesrat Ende Januar 2020 allgemeine Ziele fest, nachdem er die gegenwärtige Weltlage analysiert und Trends und Tendenzen, die in der Zukunft wichtig werden könnten, evaluiert hatte.

Abgeleitet aus der APS verfolgt Strategie der internationalen Zusammenarbeit der Schweiz 2021-2024 (IZA-Strategie) vier Ziele in vier Schwerpunktregionen. Mit der Fokussierung auf Osteuropa, Nordafrika und Mittlerer Osten, Subsahara-Afrika sowie Zentral-, Süd- und Südostasien stärkt die Strategie die Wirksamkeit und Effizienz der IZA. Ihre vier gleichwertigen Ziele tragen zur Armutsreduktion und zur Umsetzung der Agenda 2030 bei und lauten wie folgt:

  • die Schaffung menschenwürdiger Arbeitsplätze vor Ort
  • der Kampf gegen den Klimawandel
  • die Reduktion der Ursachen von Flucht und irregulärer Migration
  • das Engagement für Rechtsstaatlichkeit

Die thematischen Strategien, wie die IZA-Strategie, ergänzen die geografischen Strategien, wie die Subsahara-Afrika oder MENA-Strategie des EDA. Sie sind aufeinander abgestimmt. Dadurch wird das aussenpolitische Engagement der Schweiz wirksamer umgesetzt, Doppelspurigkeiten werden vermieden und Synergien zwischen den involvierten Bundesstellen und den externen Partnern genutzt.

Dieses Zusammenspiel der Strategien ist wichtig, damit die Schweiz ihre Aussenpolitik in allen Teilen der Welt koordiniert umsetzen kann und stellt sicher, dass die Schweiz kohärent und als Einheit auftritt.

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