28.02.2013

Genf, 25.2.2013 - Rede von Bundesrat Didier Burkhalter anlässlich der 22. Session des Menschenrechtsrats - Es gilt das gesprochene Wort

Rednerin/Redner: Bundespräsident, Didier Burkhalter (2014); Didier Burkhalter

Frau Hochkommissarin
Exzellenzen
Meine Damen und Herren

Ich begrüsse Sie zu dieser 22. ordentlichen Tagung des Menschenrechtsrates. Es ist mir eine Ehre, Sie im Namen der Schweizer Regierung hier in der Schweiz empfangen zu dürfen.

In diesem Jahr begehen wir den zwanzigsten Jahrestag eines Ereignisses, das für die Men-schenrechte nach wie vor von entscheidender Bedeutung ist: 1993 gab die Annahme der Erklärung und des Aktionsprogramms von Wien der Menschenrechtsdebatte neue Impulse, nachdem sie in den Jahren des Kalten Krieges von Stagnation und Polarisierung geprägt gewesen war.

Im Sinne der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 ist es der Staatengemeinschaft in Wien gelungen, den Menschen wieder in den Mittelpunkt zu stellen - den einzelnen Menschen und seine Rechte, die weithin anerkannt und doch sehr schwer durchzusetzen sind. Heute bekräftigt die Schweiz mit Nachdruck ihr Bekenntnis zu den Grundsätzen der Erklärung und des Aktionsprogramms von Wien.

Wir haben uns als Staatengemeinschaft in Wien verpflichtet, die Menschenrechte zu verwirklichen und zu fördern. Und wir haben dort anerkannt, dass die Menschenrechte allgemein gültig und unteilbar sind, dass sie einander bedingen und einen Sinnzusammenhang bilden. Die Wiener Erklärung und das Aktionsprogramm haben unter anderem die Gründung des Hochkommissariats für Menschenrechte in die Wege geleitet, das diese Rechte institutionell verankert. Die Schweiz ist stolz darauf, Gaststaat dieser bedeutenden Institution der UNO zu sein, die dazu beiträgt, dass Genf die Hauptstadt der Menschenrechte ist. Die Regierung meines Landes wird diese wichtige Institution auch künftig in vollem Umfang bei ihren beharrlichen Bemühungen unterstützen, die Menschenrechte überall in der Welt zu fördern und zu schützen.

Die Erklärung und das Aktionsprogramm von Wien haben zu erkennbaren und anhaltenden Fortschritten geführt. Sie bereiteten den Weg zur Weiterentwicklung von zahlreichen Normen und zur schrittweisen Integration der Menschenrechte in Politikfelder wie etwa die Entwicklungs- und die Sicherheitspolitik. Insbesondere in der Politikentwicklung nach 2015 sollte diese Integration fortgesetzt werden.

Die Menschenrechte müssen einer der Bausteine der künftigen Entwicklungsziele sein, denn es gibt keine nachhaltige Entwicklung ohne Achtung der Menschenrechte und gute Regierungsführung.

Die Gründung des Menschenrechtsrates 2006 war eine logische Folge der Wiener Erklärung, und sie hat den institutionellen Status der Menschenrechte in der UNO-Architektur gestärkt. Der Menschenrechtsrat besitzt mehr Legitimität als die frühere Menschenrechtskommission. Seine Mitglieder werden sorgfältiger ausgewählt, denn um gewählt zu werden, gehen sie Verpflichtungen bezüglich der Förderung und des Schutzes der Menschenrechte auf nationaler und internationaler Ebene ein. Die Staatengemeinschaft hat ein zufriedenstellendes Gleichgewicht zwischen den Anforderungen der Effizienz und der Universalität gefunden. 

Von Anfang an hat sich die Schweiz für die Allgemeine regelmässige Überprüfung eingesetzt, und daher begrüsst sie, dass alle Staaten im ersten Zyklus an der Überprüfung teilgenommen haben. Alle Staaten sind gemeinsam dafür verantwortlich, dass die Grundsätze der Universalität, der Gleichbehandlung und der dialogorientierten Zusammenarbeit im zweiten Zyklus eingehalten werden, und dass sie die gemeinsame Verpflichtung der UNO-Mitglieder widerspiegeln, sich einer Überprüfung durch die anderen Mitglieder zu stellen.

In Fällen, in denen es zu erheblichen Schwierigkeiten kommt, sollten wir uns nicht auf Schuldzuweisungen und Kritik beschränken, sondern versuchen, Brücken zu bauen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen.

Die Allgemeine regelmässige Überprüfung ist die konkrete Erfüllung der in der Wiener Erklärung genannten Pflicht, die Menschenrechte zu achten. Dabei ist zentral, dass die im Rahmen der Überprüfung angenommenen Empfehlungen umgesetzt werden. Denn die Menschenrechte müssen nicht nur universell anerkannt, sondern vor allem universell angewandt werden.

Die Schweiz nimmt ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen sehr ernst und wird keine Mühe scheuen, die von ihr angenommenen Empfehlungen umzusetzen.

Meine Damen und Herren

Trotz der institutionellen und normativen Fortschritte, die seit der Verabschiedung der Erklärung und des Aktionsprogramms von Wien zu verzeichnen sind, ist nicht zu leugnen, dass die Menschenrechte nach wie vor in Kontexten die uns alle angehen mit Füssen getreten werden.

Nach zwei Jahren blutiger Auseinandersetzungen ist Syrien heute der Schauplatz einer menschlichen und humanitären Katastrophe. In seinem Bericht vom 5. Februar 2013 spricht der Unabhängige Untersuchungsausschuss des Menschenrechtsrates erneut von schweren internationalen Verbrechen, die von den verschiedenen Konfliktparteien verübt werden.

Die Schweiz verurteilt die schweren Verstösse gegen die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht auf das Schärfste; sie ruft alle Konfliktparteien auf, die Feindseligkeiten einzustellen. Der Ausschuss hält des Weiteren fest, dass die syrischen Behörden keine glaubwürdigen Untersuchungen vornehmen, um die für diese Verbrechen verantwortlichen Personen zur Rechenschaft zu ziehen. Er empfiehlt dem Sicherheitsrat, die Situation in Syrien dem Internationalen Strafgerichtshof zu unterbreiten. Diese Empfehlung greift die wiederholten Appelle seitens der Hochkommissarin für Menschenrechte, der Sonderberichterstatter des Rates und der Schweiz in einem Schreiben vom 14. Januar 2013 an den Sicherheitsrat auf. In diesen Appellen wurde eine Überweisung an den Strafgerichtshof gefordert. Das Schreiben der Schweiz, das auch von 57 anderen Staaten unterzeichnet wurde, empfiehlt dem Sicherheitsrat genau dieses Vorgehen. Die Schweiz lädt alle Staaten, die dies wünschen, zur Unterzeichnung dieser Initiative ein. Sie ist ein deutliches Signal, das dazu beitragen soll, künftige Menschenrechtsverletzungen zu verhüten. Ohne die Bekämpfung der Straflosigkeit wird es weder in Syrien noch anderswo einen dauerhaften Frieden geben.

Das Mandat des Untersuchungsausschusses endet im März. Die Schweiz ersucht Sie, die Verlängerung des Mandats dieses Ausschusses zu unterstützen, damit gewährleistet ist, dass die Verstösse gegen das Völkerrecht dokumentiert werden.

Um der Eskalation der Gewalt ein Ende zu setzen, befürwortet die Schweiz eine politische Lösung, die im Geist des Dialogs ausgehandelt wird und den berechtigten Wünschen der syrischen Bevölkerung entspricht. Das einzige Dokument, das die verschiedenen einschlägigen Bemühungen zusammenführen kann, ist die am 30. Juni 2012 in Genf angenommene Übereinkunft der Groupe d’action pour la Syrie, in der die Grundzüge einer politischen Transition skizziert werden.

Die Schweiz unterstützt die Bemühungen von Lakhdar Brahimi und anderen Akteuren und steht ihnen zur Verfügung, wenn sie eine weitere Tagung in der Schweiz organisieren wollen.

Die Schweiz ruft die internationale Gemeinschaft auf, ihre Bemühungen um eine Beendigung dieses furchtbaren Konflikts zu intensivieren und einen dauerhaften Frieden zu schliessen, dessen Grundlage die nationale Versöhnung ist.

Auch in Mali hat sich die Menschenrechtssituation verschlechtert. Im vergangenen Monat begannen Militäreinsätze im Norden. In der jetzigen Phase ist es nach Auffassung der Schweiz notwendig, der internationalen Unterstützungsmission in Mali sehr schnell Menschenrechtsbeobachter vor Ort zur Verfügung zu stellen. Menschenrechtsverletzungen und Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht müssen verhütet werden. Daher hat sich die Schweiz Ende Januar verpflichtet, die zivilen Aspekte der internationalen Eingreiftruppe zu unterstützen.

Die Schweiz ruft alle Konfliktparteien auf, ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen einzuhalten. Alle Menschenrechtsverletzungen und Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht müssen ungeachtet dessen, von wem sie begangen wurden, Gegenstand unparteiischer Ermittlungen sein und dürfen nicht ungestraft bleiben. In diesem Sinne begrüsst die Schweiz die Bemühungen der Behörden Malis auf nationaler und internationaler Ebene. Der Schutz der Zivilbevölkerung vor Gewaltakten ist nicht nur eine Pflicht, sondern auch das einzige Mittel, das künftige Zusammenleben der Bevölkerungsgruppen in Mali nicht zu gefährden.

Seit dem vergangenen Monat stehen zwar die militärischen Operationen im Mittelpunkt, doch eine dauerhafte Lösung des Konflikts in Mali wird nur durch politischen Dialog zu bewerkstelligen sein. Ein solcher Dialog muss die Rückkehr zum Frieden gewährleisten und die Versöhnung zwischen den Bevölkerungsgruppen vorbereiten. Die Schweiz hat sich für die Mediation mit dem Ziel einer politischen Lösung engagiert; sie ist auch weiterhin bereit, bei einem Dialog Hilfestellung zu leisten.

Meine Damen und Herren

Im Hinblick auf einen effektiven Schutz der Menschenrechte stehen wir vor mehreren Herausforderungen. Ich möchte an dieser Stelle drei Bereiche nennen, in denen nach Schweizer Auffassung prioritär gehandelt werden muss:

Erstens im Bereich der Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit. Diese Freiheiten sind besonders wichtig im Hinblick auf friedliche Proteste der Art, wie sie die jüngste Geschichte vom Fall der Berliner Mauer bis hin zu den Ereignissen im Nahen Osten und in Nordafrika deutlich beeinflusst haben. Eine Gesellschaft kann sich nur dann weiterentwickeln, wenn die Freiheit der Meinungsäusserung und der friedlichen Versammlung sowie das Recht auf Vereinigung uneingeschränkt garantiert sind. Wirkliche Stabilität und anhaltender Aufschwung sind nur in Gesellschaften möglich, in denen die Menschen ihre Grundrechte wahrnehmen können, ohne Gefahr zu laufen, verfolgt, bedroht oder angegriffen zu werden.

Auch die Lage der Menschenrechtsaktivistinnen und  aktivisten und der Journalistinnen und Journalisten ist in vielen Ländern nach wie vor besorgniserregend. Die Schweiz ruft die Staaten dazu auf, zivilgesellschaftliche Meinungsäusserungen und Aktivitäten zuzulassen. Wir verurteilen Situationen, in denen Staaten zivilgesellschaftliche Meinungsäusserungen und Aktivitäten in Form friedlicher Demonstrationen verbieten oder unterdrücken. Costa Rica, die Türkei und die Schweiz werden im Laufe dieser Tagung eine neue Resolution zu diesem Thema vorlegen; sie wird sich insbesondere mit Massnahmen befassen, die einen konstruktiven Umgang mit friedlichen Demonstrationen ermöglichen und die es erlauben, in geeigneter Form auf angespannte Situationen zu reagieren. Wir rufen zu einer breiten Unterstützung dieser Resolution auf.

Die zweite Priorität der Schweiz ist die Achtung der Menschenrechte durch Unternehmen. 2011 verabschiedete der Menschenrechtsrat die «Leitlinien zur Verantwortung der Wirtschaft für die Menschenrechte».

Diese Leitlinien sind Ausdruck eines internationalen Konsenses über die Rolle der Staaten und der Unternehmen im Zusammenhang mit dem Schutz und der Achtung der Menschenrechte, über die Mittel zur Verhinderung einer Mitwirkung an Menschenrechtsverletzungen und über den Zugang zu Rechtsmitteln im Fall von Verstössen. Der Schutz und die Achtung der Menschenrechte tragen auch dazu bei, die Gefahr politischer und wirtschaftlicher Instabilität zu verringern, indem sie ein Klima herstellen, das der Investitionstätigkeit und der Entwicklung förderlich ist.

Die Staaten, die Unternehmen und die Zivilgesellschaft haben ein gemeinsames Interesse daran, die Menschenrechte zu achten, und sie sind gemeinsam für diese Achtung verantwortlich. Denn eine Volkswirtschaft ist nur dann nachhaltig, wenn sie sich auf die Achtung der Menschenrechte stützt. Deshalb unterstützt die Schweiz die Umsetzung der Leitlinien und ruft insbesondere die Unternehmen auf, ihrer Verantwortung nachzukommen.

Die dritte Priorität der Schweiz ist die Bekämpfung der Todesstrafe, eines der zentralen Anliegen der Schweizer Menschenrechtspolitik. Die Todesstrafe ist unseres Erachtens unvereinbar mit der Achtung der Menschenrechte. Aus diesem Grund rief die Schweiz im vergangenen Jahr zusammen mit ihren Nachbarländern zur Abschaffung der Todesstrafe auf, und sie wird dieses Thema an dieser Tagung gemeinsam mit Österreich, Slowenien und dem Fürstentum Liechtenstein erneut ansprechen.

Es ist ermutigend festzustellen, dass sich die Tendenz zur Abschaffung der Todesstrafe verstärkt und dass sie auf allen Kontinenten an Einfluss gewinnt. In den vergangenen 20 Jahren haben mehr als 50 Staaten die Todesstrafe abgeschafft. Insgesamt haben bis heute mehr als 130 Staaten die Todesstrafe abgeschafft oder ein Moratorium verhängt. Ebenfalls ermutigend ist die zunehmende Unterstützung für die Resolution der Generalversammlung über ein Moratorium für die Todesstrafe.

Der Kampf gegen die Todesstrafe muss so lange fortgesetzt werden, wie es diese unmenschliche Strafe gibt. Die Schweiz ruft alle Staaten auf, sich gemeinsam für eine Welt ohne Todesstrafe einzusetzen.

Meine Damen und Herren

Wir begehen in diesem Jahr das zwanzigjährige Bestehen der Wiener Erklärung und des Aktionsprogramms, das einen entscheidenden Fortschritt der weltweiten Bemühungen um die Menschenrechte darstellt. Dennoch werden die Grundrechte auch heute noch mit Füssen getreten.

Es liegen Welten zwischen dem Bekenntnis zur Achtung der Menschenrechte und der Realität. Wir haben als Staatengemeinschaft die Pflicht, diese Kluft zwischen Worten und Taten zu verringern. Wir haben die Pflicht, die Menschenrechte in unseren eigenen Ländern zu achten und uns dafür einzusetzen, dass sie in der ganzen Welt für alle Menschen gelten.

Angesichts der derzeitigen Lage wird es nicht darum gehen, neue Ziele festzulegen oder neue Themen zu formulieren. Vielmehr sollte dieser Jahrestag von jedem Staat zum Anlass genommen werden, sich über eine bessere Umsetzung seiner Verpflichtungen Gedanken zu machen. Welche neuen Massnahmen und Methoden stehen uns im Zeitalter der Information zur Verfügung? Welche Chancen eröffnet uns die Globalisierung? Welche Rolle können die wirtschaftlichen Akteure und die Zivilgesellschaft bei der Umsetzung spielen? Die Beantwortung dieser Schlüsselfragen ist Aufgabe einer jeden und eines jeden von uns, aber sie ist auch Aufgabe der gesamten Staatengemeinschaft, die – 20 Jahre nach Wien – die Pflicht hat, sich einer solchen Reflexion zu stellen.

Die Verpflichtungen, die wir als Mitglieder der Staatengemeinschaft 1993 in der Wiener Erklärung eingingen, sind für uns verbindlich. Wir haben uns damals verpflichtet, nicht nur die Bedeutung der Menschenrechte zu bekräftigen, sondern diese Rechte auch zu achten und durch unser Handeln zu fördern. Lassen Sie uns dieses Versprechen halten und unsere Verpflichtungen effektiv umsetzen! Nur dann werden wir das zwanzigjährige Bestehen der Wiener Erklärung glaubwürdig feiern können.

Abschliessend möchte ich der Hohen Kommissarin für Menschenrechte, Frau Navi Pillay, und allen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ganz herzlich für ihren Einsatz für die Menschenrechte danken. Ihre Arbeit sowohl hier in Genf als auch draussen in aller Welt ist beispielhaft und unentbehrlich.

Ein besonderer Dank geht an die stellvertretende Hohe Kommissarin, Frau Kyung-wha Kang, die ihr Amt viele Jahre lang mit grossem Engagement ausübte. Wir wünschen ihr alles Gute für die Zukunft.

Und nun möchte ich noch die Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft ermutigen, sich auch weiterhin für die Förderung der Menschenrechte einzusetzen. Den Kampf gegen die Todesstrafe und die Folter und für mehr Freiheit und Gerechtigkeit müssen wir gemeinsam führen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen allen eine konstruktive Tagung.


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Letzte Aktualisierung 29.01.2022

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