Reise in den Cyberraum mit dem Europarat

Am 21. Mai 2021 fand virtuell die 131. Sitzung des Ministerkomitees des Europarats statt. Auch im digitalen Raum arbeiten die 47 Aussenministerinnen und -minister als Team zusammen. Gerade die Digitalisierung ist für den Europarat Herausforderung und Chance zugleich, denn auch im Cyberraum gilt es, die Menschenrechte, die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen. Vier Beispiele aus dem Alltag – vier Erfahrungsberichte zum Thema.

21.05.2021
Die Flagge der Schweiz und des Europarates, die an Bundesgebäude hängen.

Für die Schweiz ist der Europarat eine Plattform des Austauschs, wo sie sich auf Augenhöhe mit anderen Mitgliedstaaten einbringen kann. © Keystone

Seit der Gründung des Europarats vor 72 Jahren fanden 131 Ministertreffen statt. Dies lässt vermuten, dass sich der ehrwürdige Europarat mit seinen Abkommen und Konventionen eher gemächlich fortbewegt. Ganz im Gegenteil: Der Europarat ist auf der Höhe der Zeit und hält mit den aktuellen Herausforderungen der Digitalisierung Schritt. Datenschutz, künstliche Intelligenz, Kampf gegen Cyberkriminalität und Hassbotschaften auf den sozialen Netzwerken sind nur einige Beispiele.

Für die Schweiz ist der Europarat eine Plattform des Austauschs, wo sie sich auf Augenhöhe mit anderen Mitgliedstaaten einbringen kann, wenn es um die Bewältigung globaler Herausforderungen wie der Digitalisierung geht. «Es ist unsere gemeinsame Pflicht, den mit der Digitalisierung verbundenen Risiken vorzubeugen, ohne den Fortschritt zu behindern», sagte Bundesrat Ignazio Cassis, Vorsteher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten, während dem Treffen des Ministerkomitees. Die Digitalisierung gehört auch zu den Schwerpunkten der Aussenpolitischen Strategie 2020–2023 der Schweiz.

Vier beim Europarat tätige Schweizer Expertinnen und Experten berichten aus ihrem Alltag und veranschaulichen, wie stark uns die Aktivitäten des Europarats im Alltag betreffen.

Cyberkriminalität: Experte Andrea Candrian erzählt

Ich erhalte von meinem Arbeitgeber folgende Warnung: «Vorsicht bei Mitteilungen mit gefälschtem Absender. Klicken Sie nicht auf Links und antworten Sie nicht auf solche Nachrichten. Dabei handelt es sich um Versuche des Konten- und Datenmissbrauchs.»

Nahaufnahme von Andrea Candrian
Andrea Candrian vertritt die Schweiz in der Europarats-Expertengruppe gegen Cybercrime. © EDA

Andrea Candrian vertritt die Schweiz in der Europarats-Expertengruppe gegen Cybercrime. «Wir erhalten leider immer wieder Zusendungen oder Anrufe von Personen, welche im Internet Opfer von Straftaten geworden sind. Nun verlangen Erpresser Geld oder Bitcoins von ihnen», sagt der Experte. Für eine rasche Lösung ist die Zusammenarbeit zwischen den Staaten unerlässlich, deshalb ist der Europarat die ideale Plattform, um wirksam auf diese Herausforderung zu reagieren. So entstand 2001 das Übereinkommen des Europarats über die Cyberkriminalität, die sogenannte Budapest-Konvention. 66 Staaten, darunter die Schweiz, haben ihr Strafrecht vereinheitlicht und gemeinsame Regeln für die internationale Zusammenarbeit vereinbart.

Budapest-Konvention: grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Straftäter, die im Cyberraum ihr Unwesen treiben, verwenden Computer oder IP-Adressen im Ausland. «Das schweizerische Strafverfahren gegen Cyberkriminelle kann nur dann erfolgreich sein, die Täter können nur dann zur Rechenschaft gezogen werden, wenn unsere Behörden rasch die korrekten Computerdaten aus dem Ausland erhalten, damit sie weiter ermitteln können», erklärt Andrea Candrian.

Das Übereinkommen des Europarats über die Cyberkriminalität, die sogenannte Budapest-Konvention, ist heute das weltweit wichtigste multilaterale Abkommen bei der Bekämpfung der Cyberkriminalität. «Wichtig scheint mir in diesem Zusammenhang der Umstand, dass sich auch aussereuropäische Staaten dem Übereinkommen anschliessen können, so dass es auch als Grundlage für die rasche Zusammenarbeit mit den USA, Kanada, Japan, Australien und anderen Big Playern dienen kann. Das Übereinkommen ist ein gutes Beispiel dafür, wie der Europarat auch ausserhalb seiner Grenzen eine wichtige Rolle bei der Verhinderung und Bestrafung von Verbrechen übernehmen und die Zusammenarbeit und das Vertrauen zwischen den Staaten stärken kann», findet der Experte.

Andrea Candrian war jahrelang als Strafrechtsexperte für den Europarat tätig und vertrat die Schweiz auch im Bereich der Terrorismusbekämpfung. Für ihn ist die Mitgliedschaft der Schweiz im Europarat wichtig, weil sich dadurch die Möglichkeit bietet, «im Strafrecht und bei der Verbrechensbekämpfung einen regelmässigen Austausch unter den Fachleuten und den Justizbehörden zu pflegen. Dabei findet immer auch ein Transfer von Wissen statt. Und es wird das gegenseitige Vertrauen in vielen Bereichen, zum Beispiel im Kampf gegen häusliche Gewalt, Terrorismus oder eben Cybercrime, verbessert und verstärkt», schliesst er.

Bekämpfung von Hassreden im Internet: Dominique Steiger Leuba Mitglied einer ad hoc Expertengruppe

Instagram, Facebook, TikTok, Snapchat: Soziale Netzwerke sind Teil unseres täglichen Lebens. Liken, teilen oder kommentieren geschieht innerhalb von wenigen Sekunden. So rasch gelangen auch rassistische Kommentare von Dritten auf eine Webseite.

Nahaufnahme von Dominique Steiger Leuba
Dominique Steiger vertritt die Schweiz in der Expertengruppe zur Bekämpfung von Hassreden im Internet © EDA

Dominique Steiger Leuba ist seit 2002 wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Einheit Internationaler Menschenrechtsschutz im Bundesamt für Justiz (BJ). Sie vertritt die Schweiz in der Expertengruppe des Europarats zur Bekämpfung von Hassreden im Internet. Der Europarat hat eine Reihe von Übereinkommen und Empfehlungen verabschiedet, die die Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung von Hassreden, online und offline, sowie bei der Opferhilfe gezielt unterstützen. Zurzeit arbeitet die Gruppe an einer Empfehlung für einen globalen Ansatz zur Eindämmung von Hassreden im Internet. «Diese Instrumente sehen die Ausarbeitung von rechtlichen Rahmenbedingungen in allen Mitgliedstaaten vor, damit das Problem global angegangen werden kann», erklärt Dominique Steiger Leuba.

Bekämpfung von Hassreden: auch für die Schweiz eine permanente Aufgabe

Anzeigen wegen hasserfüllte, beleidigende oder verleumderische Kommentare nehmen auch in der Schweiz zu. «Hassreden müssen eingedämmt werden, wobei ein Gleichgewicht zwischen dem Schutz vor Diskriminierung und Hassreden und dem Schutz der Meinungsäusserungsfreiheit gewahrt werden muss», sagt Dominique Steiger Leuba. Eine Empfehlung ist ein wichtiges Instrument, auch wenn es nicht rechtsverbindlich ist.

Opfer von Hassreden können sich auf verschiedene Bestimmungen im schweizerischen Recht berufen, sowohl im Straf- als auch im Privatrecht. Auf den meisten Online-Plattformen können Nutzerinnen und Nutzer Hassbotschaften melden. Die gemeldeten Inhalte werden geprüft und allenfalls entfernt. «Einige Plattformen haben auch ein System von vertrauenswürdigen Hinweisgebern (Trusted Flaggers): Die Meldungen von Inhabern mit einem solchen Status werden vorrangig geprüft. Das Bundesamt für Polizei (Fedpol) verfügt zum Beispiel über diesen Status auf YouTube», ergänzt die Expertin. Gut zu wissen ist auch, dass das Liken und Teilen eines hasserfüllten oder beleidigenden Beitrags auf den sozialen Netzwerken juristische Folgen haben kann, wenn der Inhalt einem Dritten mitgeteilt wird.

Für Dominique Steiger Leuba ist die Mitwirkung der Schweiz im Europarat unverzichtbar. «Die Diskussionen führen unter anderem zur Ausarbeitung von verbindlichen und unverbindlichen Rechtsinstrumenten, die eine Verankerung dieser Grundsätze im Rechtssystem und in der Praxis der Mitgliedstaaten ermöglichen», sagt sie abschliessend.

Schutz von Personendaten: Erfahrungen von Jean-Philippe Walter, Datenschutzbeauftragter

Ich klicke auf ein Informationsportal. Ein Beitrag befasst sich mit Massnahmen zur Nachverfolgung von potenziell an Covid-19 erkrankten Personen und die Einführung eines Covid-19-Zertifikats. Ich finde gewisse Aspekte beunruhigend und hinterlasse einen Kommentar: Sind meine persönlichen Daten geschützt? Ist meine Bewegungsfreiheit noch gewährleistet?

Nahaufnahme von Jean-Philippe Walter.
Jean-Philippe Walter ist Datenschutzbeauftragter des Europarats seit 2019. © EDA

Jean-Philippe Walter, Datenschutzbeauftragter des Europarats seit 2019, hat sich mit zahlreichen Erklärungen zu diesem Thema befasst. Ein Projekt, an dem er stark beteiligt war, ist die Modernisierung der ursprünglich in den 1980er-Jahren entstandenen Konvention 108. Dieses verbindliche völkerrechtliche Instrument soll die Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten vor Missbrauch schützen. Die am 28. Januar 2011 begonnene Modernisierung ist ein grundlegender Schritt zur Stärkung der Datenschutzrechte in Europa und in der Welt. Unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen unserer Zeit entstand so die Konvention 108+.

Ein Plus für die Konvention 108

Der Modernisierungsprozess mündete 2018 in die Konvention 108+. «Diese Konvention ist nicht bloss ein europäischer Text, sondern ein globales Übereinkommen, das alle Staaten unterzeichnen können, deren Datenschutzbestimmungen den Anforderungen der Konvention entsprechen», erklärt Jean-Philippe Walter.

Weil sie auch grenzüberschreitende Datenströme abdeckt, ist die Konvention 108+ ein wichtiger Schritt in Richtung eines universellen Datenschutzrahmens. «Der Europarat setzt sich seit mehreren Jahren für diesen Text ein und begleitet die Staaten auf Anfrage bei der Einführung wirksamer Gesetzesbestimmungen und bei der Ratifizierung», sagt der Experte.

Bevor Jean-Philippe Walter nach seiner Pensionierung 2019 Datenschutzbeauftragter des Europarats wurde, hatte er die Schweiz in verschiedenen Ausschüssen und Arbeitsgruppen des Europarats im Bereich des Datenschutzes vertreten. Dass die Schweiz im Europarat vertreten ist, ist für ihn wichtig, weil «die Schweiz kein Mitglied der Europäischen Union ist. Ihre Mitarbeit im Europarat im Bereich des Datenschutzes ist umso wichtiger. Und zwar nicht nur, um an der Weiterentwicklung dieses Grundrechts im digitalen Zeitalter mitzuwirken, sondern auch, um die internationale Zusammenarbeit in einem themenübergreifenden und globalisierten Bereich zu fördern».

Richtlinien für die künstliche Intelligenz: Einblick in die Arbeit von Thomas Schneider

Einige Flughäfen testen zurzeit eine Technologie zur Gesichtserkennung: Weder Boardingpass noch selber ausgedruckte Dokumente – ein Gesichtsscan genügt und los geht’s! In wenigen Sekunden werden meine Identität und mein Reiseziel überprüft und ob ich den Covid-19-Test gemacht habe. Auf welche anderen Daten wird auch zugegriffen? Und was geschieht mit meinen persönlichen Daten danach?

Nahaufnahme von Thomas Schneider
Thomas Schneider ist Mitglied des Ad-hoc-Ausschusses für künstliche Intelligenz. © EDA

Künstliche Intelligenz (KI) ist ein zentrales Thema in der Arbeit von Thomas Schneider, unter anderem im Europarat. Dort vertritt er die Schweiz seit 2005 im Lenkungsausschuss für Medien und Informationsgesellschaft (CDMSI) und ist seit 2019 Mitglied des Ad-hoc-Ausschusses für künstliche Intelligenz (CAHAI). «Unsere Aufgabe ist es, bis Ende 2021 eine Machbarkeitsstudie für einen rechtlichen Rahmen für künstliche Intelligenz zu erarbeiten, welcher die Grundlagen und konkreten Elemente für ein verbindliches Abkommen enthalten soll», erklärt Thomas Schneider. Der Europarat liefert mit seinen verbindlichen und unverbindlichen Regeln einen Rahmen, der es den Staaten erlaubt, die Grundrechte ihrer Bürgerinnen und Bürger beim Einsatz von KI zu schützen. Er hat zudem eine Reihe von einschlägigen Richtlinien veröffentlicht, darunter die Richtlinie von 2019 für die Verwendung von künstlicher Intelligenz und den Datenschutz. Diese Instrumente sollen politischen Entscheidungsträgern, KI-Entwicklern, Herstellern und Dienstleistern helfen, eine Untergrabung des Rechts auf Datenschutz durch KI-Anwendungen zu verhindern.

Empfehlungen, Chartas oder Verpflichtungen für künstliche Intelligenz?

In den letzten Jahren hat der Europarat an der Klärung des Themas KI gearbeitet. Verschiedene Gremien haben in erster Linie unverbindliche, d.h. keine neuen rechtlichen Verpflichtungen schaffende, an den jeweiligen Kontext angepasste Richtlinien erarbeitet. Der Lenkungsausschuss für Medien und die Informationsgesellschaft hat beispielsweise eine Empfehlung zu den menschenrechtlichen Auswirkungen algorithmischer Systeme erarbeitet. Darin werden Regierungen aufgefordert, dafür zu sorgen, dass bei der Nutzung von algorithmischen Systemen keine Menschenrechte verletzt werden und über die Verantwortung von Online-Plattformen zu informieren.

In den letzten Jahren und Monaten mehren sich aber die Stimmen, die nach einem bindenden Element rufen, welches die Grundprinzipien des Umgangs mit IA über alle Themenbereiche hinweg festlegen soll. Thomas Schneider arbeitet nun im CAHAI mit, Elemente für ein solches Rahmenübereinkommen sowie weitere Instrumente zu Teilaspekten wie einer menschenrechtlichen Folgenabschätzung von KI-Dienstleistungen zu entwickeln.

Bei der Ausarbeitung von Regeln und Normen für künstliche Intelligenz ist die Mitwirkung aller relevanter Akteure zentral. «Der Einbezug von Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft ermöglicht es nicht nur, die Chancen und Risiken neuer Technologien wie KI zu verstehen, sondern auch eine verhältnismässige und umsetzbare Regulierung zu entwickeln. Die Schweiz steht an vorderster Front bei der Unterstützung dieses Multistakeholder-Ansatzes, den der Europarat immer häufiger anwendet», sagt Thomas Schneider.

Der Europarat nimmt in vielen Bereichen eine Vorreiterrolle ein, in denen die Schweiz auch einen zukunftsweisenden Beitrag leisten kann. «Der Europarat definiert die Grundsätze und die Meilensteine für die zukünftige Regulierung auf nationaler und europäischer Ebene – und oft über Europas Grenzen hinaus. Er verfügt über ein einzigartiges, umfassendes und kohärentes Werte- und Organisationssystem, das es ihm erlaubt, neue Herausforderungen zu bewältigen und ein konsistentes und langfristiges Regelwerk zu erarbeiten», sagt Thomas Schneider.

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