Ohne Frieden ist es unmöglich, die Menschenrechte zu sichern
Der 5. Mai ist der «Europatag» – in Erinnerung an die Gründung des Europarats am 5. Mai 1949. Damals lag Europa in Trümmern. Seither setzt sich der Europarat für Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie ein. Angesichts des Krieges sind diese Werte von besonderer Bedeutung, schreibt Bundespräsident Ignazio Cassis in seiner Botschaft zum diesjährigen Europatag.
Am 6. Mai 1963 unterzeichnet Friedrich Traugott Wahlen in Strassburg die Beitrittsurkunde der Schweiz in den Europarat, dessen Werte sie bis heute teilt. © Keystone
Es gibt Ereignisse, die die Geschichte beschleunigen. Der russische Angriff auf die Ukraine ist ein solches Ereignis. Was die demokratischen Staaten in Europa voneinander trennt und unterscheidet, rückt dadurch weiter in den Hintergrund.
Immer wichtiger wird, was uns verbindet. Es sind dies die Werte des Europarates: Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Der Europarat, an dessen Gründung 1949 heute erinnert wird, steht in der öffentlichen Wahrnehmung gelegentlich im Schatten anderer europaweiter Institutionen, aber es braucht ihn – vielleicht mehr denn je!
Ohne Frieden ist es unmöglich, die Menschenrechte zu sichern. Aber auch in Friedenszeiten braucht es dauerhafte, gut verankerte Garantien. Diese zu fördern, gehört zu den Kernaufgaben des Europarates. Eine Stärkung der unabhängigen Justiz und eine lebendige Demokratie auf allen politischen Ebenen werden zu den Prioritäten der Organisation zählen, wenn es – in hoffentlich naher Zukunft – um den Wiederaufbau der Ukraine geht.
Ein zentrales Instrument für den ganzen Kontinent ist die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Sie sorgt für den Schutz des Einzelnen vor staatlicher Willkür und garantiert die Grundrechte. Für die Schweiz als freiheitliches Land, das auch international auf Rechtsstaatlichkeit setzt, ist dies von unschätzbarem Wert. Hinzu kommt, dass unser Land im Europarat gleichberechtigt mitwirken kann. Wir engagieren uns für eine Plattform, die dazu dient, das gegenseitige Vertrauen zwischen 46 Staaten zu stärken.
Die Hymne des Europarates und damit auch die Hymne Europas ist Beethovens «Ode an die Freude». Der Titel mag seltsam und deplatziert wirken derzeit. Aber der heutige Tag erinnert daran, dass 1949 grosse Teile unseres Kontinents in Trümmern lagen und wiederaufgerichtet wurden.
Der 5. Mai steht im Zeichen der Dankbarkeit für den Frieden und die Stabilität im Westeuropa der Nachkriegszeit – aber dieses Jahr besonders auch im Zeichen der Hoffnung auf ein baldiges Kriegsende in der Ukraine, den Wiederaufbau des Landes und einen Neustart im Bemühen, die Werte des Europarates in ganz Osteuropa zu verankern.
Botschaft von Bundespräsident Ignazio Cassis anlässlich des Europatages vom 5. Mai 2022