Die Schweiz bleibt auch ohne institutionelles Abkommen engagierte Partnerin der EU
Am 26. Mai 2021 hat der Bundesrat beschlossen, dass die Verhandlungen mit der EU über das institutionelle Abkommen nicht weitergeführt werden. An einer Medienkonferenz nach der Bundesratssitzung erläuterten Bundespräsident Guy Parmelin, Bundesrat Ignazio Cassis und Bundesrätin Karin Keller-Sutter die Gründe, die hinter der Entscheidung stehen. Bundesrat Cassis stellte klar, dass die Schweiz auch ohne das institutionelle Abkommen eine zuverlässige und engagierte Partnerin der EU bleibt.
Bundespräsident Guy Parmelin, Bundesrat Cassis und Bundesrätin Karin Keller-Sutter erläutern vor den Medien den Entscheid des Bundesrates zum Institutionellen Abkommen mit der EU. © Keystone
EDA macht zwei Gutachten über Alternativen im Verhandlungsprozess zum Institutionellen Abkommen Schweiz-EU zugänglich
17.12.2021
Im Vorfeld der Entscheidung des Bundesrates zum Institutionellen Abkommen Schweiz-EU hat das EDA zwei externe Gutachten über Alternativen im Verhandlungsprozess in Auftrag gegeben. Diese Gutachten haben die Überlegungen der Verwaltung zuhanden des Bundesrates ergänzt.
Die Gutachten von Nicolas Levrat (Universität Genf) sowie von Michael Ambühl und Daniela Scherer (ETH Zürich) wurden diese Woche den Mitgliedern der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats zur Verfügung gestellt und sind auf der Webseite des EDA aufgeschaltet (vgl. Liste zu Dokumenten).
Bis zuletzt wurde versucht, in den offenen Fragen zwischen der Schweiz und der EU zum institutionellen Abkommen Lösungen zu finden. Dennoch kam der Bundesrat am 26. Mai 2021 bei seiner Gesamtevaluation zum Schluss, dass in entscheidenden Punkten zwischen der Schweiz und der EU substanzielle Differenzen bestanden hätten, die nicht hätten geklärt werden können.
- So betreffe die Personenfreizügigkeit aus Sicht der Schweiz die Freizügigkeit von Arbeitnehmenden und deren Familien. Die EU hingegen verbinde sie mit der Unionsbürgerrichtlinie. Damit umfasse die Freizügigkeit aus Sicht der EU auch Themen wie das Recht auf Daueraufenthalt oder die Ausdehnung der Ansprüche auf Sozialhilfe für Nichterwerbstätige. Aspekte, die über die Arbeitnehmerfreizügigkeit hinausgehen, wollte die Schweiz bei einer allfälligen Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie ausgeschlossen haben. Die EU war dazu nicht bereit.
- Beim Lohn- und Arbeitnehmerschutz verfolgen die Schweiz und die EU dasselbe Prinzip: «gleicher Lohn für gleiche Arbeit». Differenzen bestanden aber darüber, wie dieses Prinzip sichergestellt werden soll. Die Schweiz hat dafür flankierende Massnahmen entwickelt, die von Entwicklungen des EU-Rechts und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unabhängig gelten sollen. Diese Forderung lehnt die EU ab.
- Bei den staatlichen Beihilfen zeichnete sich eine Lösung ab – unter der Voraussetzung allerdings, dass bei den anderen offenen Punkten Lösungen gefunden worden wären. Dies war aber nicht der Fall.
Auffangmassnahmen gegen allfällige negative Folgen
Bundesrat Cassis wiederholte an der Medienkonferenz, dass der Verzicht auf die Unterzeichnung des InstA der Schweiz Nachteile bringen kann. Bereits in der Vergangenheit hatte der Bundesrat darauf hingewiesen, dass die EU ohne institutionelles Abkommen keine neuen Marktzugangsabkommen abschliessen oder bestehende aktualisieren wolle. So sind die Verhandlungen in den Bereichen Strom, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit seit längerem blockiert. Ebenso führt die EU Aktualisierungen wichtiger bestehender Abkommen nicht weiter. Bundesrat Cassis nannte als Beispiel den Bereich der Medizinprodukte, der durch das Abkommen über die technischen Handelshemmnisse, geregelt wird. Der Bundesrat hat deshalb verschiedene Auffangmassnahmen zur Abfederung negativer Konsequenzen in die Wege geleitet.
Zuverlässige Partnerin der EU
Auch ohne das institutionelle Abkommen bleibt die Schweiz eine zuverlässige und engagierte Partnerin der EU, sagte Bundesrat Cassis: «Für den Bundesrat ist klar: Die Schweiz und die EU bleiben auch in Zukunft durch eine enge Partnerschaft verbunden.» Dabei verwies er auf die über 100 bilateralen Verträge, auf denen die bilaterale Zusammenarbeit gründet, sowie auf die engen Handelsbeziehungen zwischen der Schweiz und der EU. 1,4 Millionen EU-Bürgerinnen und Bürger leben in der Schweiz, dazu kommen rund 340'000 Grenzgängerinnen und Grenzgänger aus der EU. Nicht zuletzt teilen die Schweiz und die EU die gleichen Grundwerte und verfolgen gemeinsame Ziele, zum Beispiel beim Klima- und Umweltschutz, bei der Migration, bei der Förderung von Frieden, Sicherheit und Menschenrechten oder bei der Bekämpfung der Armut. Gemeinsam setzen sich die Schweiz und die EU auch für eine Verstärkung der Kooperation in den Bereichen Gesundheit, regionale Entwicklung und Digitalisierung ein.
Links
Dokumente
- Alternativen im Verhandlungsprozess: Gutachten von Nicolas Levrat (Universität Genf) (PDF, 60 Seiten, 12.0 MB, Französisch)
- Alternativen im Verhandlungsprozess: Gutachten von Michael Ambühl und Daniela Scherer (ETH Zürich) (PDF, 28 Seiten, 1.6 MB, Deutsch)
- Brief des Bundesrates an die Präsidentin der Europäischen Kommission, 26.05.2021 (inoffizielle Übersetzung, der Originaltext auf Französisch ist massgebend) (PDF, 3 Seiten, 278.9 kB, Deutsch)
- Chronologie der Beziehungen Schweiz–EU seit 2013 (PDF, 2 Seiten, 240.5 kB, Deutsch)
- Institutionelles Abkommen: Ergebnisse der Gespräche Schweiz–EU zu den Klärungspunkten Unionsbürgerrichtlinie (UBRL), Lohnschutz und staatliche Beihilfen (PDF, 2 Seiten, 242.2 kB, Deutsch)Outcome of talks between Switzerland and the EU on Citizens' Rights Directive (CRD), wage protection and state aid issues
Risultati dei colloqui tra la Svizzera e l’UE sui punti da chiarire: protezione dei salari, direttiva sulla libera circolazione dei cittadini UE e aiuti di Stato
Résultats des discussions entre la Suisse et l’UE sur les points à clarifier, à savoir la directive relative au droit des citoyens de l’Union, la protection des salaires et les aides d’État - Prüfauftrag zum autonomen Abbau von Regelungsunterschieden zwischen dem Schweizer und dem EU-Recht (PDF, 1 Seite, 207.6 kB, Deutsch)
- Bericht betreffend die Verhandlungen über ein institutionelles Abkommen zwischen der Schweiz und der EU (PDF, 35 Seiten, 772.9 kB, Deutsch)Report on the negotiations on an institutional framework agreement between Switzerland and the EU
Rapporto riguardante i negoziati per un accordo quadro istituzionale tra la Svizzera e l’UE, del 26 maggio 2021
Rapport relatif aux négociations sur un accord-cadre institutionnel entre la Suisse et l’UE, du 26 mai 2021