Schutz für humanitäres Personal: UNO-Sicherheitsrat verabschiedet Schweizer Resolution
Der UNO-Sicherheitsrat hat am 24. Mai 2024 eine Resolution für den Schutz von humanitärem und UNO-Personal in Konfliktgebieten verabschiedet. Die Schweiz hat die Resolution verhandelt und dem Rat zur Abstimmung vorgelegt. Sie unterstreicht den langjährigen Einsatz der Schweiz für den Schutz der Zivilbevölkerung – eine Priorität des Bundesrats für die Schweizer Ratsmitgliedschaft 2023-2024. Stimmen von Personen im EDA, die intensiv an der Resolution gearbeitet haben.
Der UNO-Sicherheitsrat verabschiedet am 24. Mai 2024 die Schweizer Resolution für den Schutz von humanitärem Personal. © UN Photo
Die Anzahl bewaffneter Konflikte auf der Welt nimmt rasant zu. Während sich die Welt um die Jahrtausendwende mit rund 20 Konflikten konfrontiert sah, ist diese Zahl mittlerweile auf fast 120 bewaffnete Konflikte angestiegen. Millionen von Menschen auf fast allen Kontinenten benötigen humanitäre Hilfe, gleichzeitig gerät das humanitäre und UNO-Personal, das diese Hilfe leistet, immer stärker unter Druck und wird selber Opfer von Angriffen. Mehr als 500 humanitäre Helferinnen und Helfer wurden 2023 Opfer von Gewalt, über 250 verloren dabei ihr Leben. In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Opfer von humanitären Hilfsorganisationen um mehr als 50 Prozent gestiegen. 90 Prozent der Betroffenen sind nationale oder lokale Mitarbeitende.
Die Schweiz ist sehr besorgt über die zunehmende Gewalt gegen Personen, die Hilfe leisten. Solche Übergriffe finden in allen Konfliktregionen statt und behindern häufig lebensrettende Massnahmen. Als gewähltes Mitglied des UNO-Sicherheitsrats hat die Schweiz deshalb einen Resolutionsentwurf zum Schutz von humanitärem und UNO-Personal verhandelt. Die Verabschiedung der Resolution stellt ein wichtiges Zeichen für den Schutz der Zivilbevölkerung dar.
Verschiedene Abteilungen des EDA und die Missionen der Schweiz bei der UNO in New York und in Genf sowie das VBS haben in den vergangenen Monaten intensiv an der Resolution gearbeitet. Janique Thöle, Juristin bei der Direktion für Völkerrecht, Vincent Conus, Diplomat bei der Mission in New York, Julia Ismar, Programm-Koordinatorin Schutz bei der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), Gilles Cerutti und Jasmin Gut von der Abteilung Frieden und Menschenrechte (AFM) sowie das Team Sicherheitsrat der Abteilung UNO erklären die Hintergründe und die Funktionsweise dieser Resolution.
Was erhofft sich die Schweiz mit dieser Resolution?
Esther Neuhaus: Ausgangspunkt für diese Resolution sind die zahlreichen Angriffe, denen Mitarbeitende humanitärer Organisationen und der Vereinten Nationen heutzutage ausgesetzt sind. Dieser Schutz ist jedoch nicht nur ein Ziel an sich: Er ermöglicht den humanitären Zugang zu Menschen in Not und sorgt dafür, dass die Bevölkerung nicht ohne die für ihr Überleben notwendigen Güter auskommen muss.
Janique Thöle: Die Resolution erinnert an die Verpflichtung der Parteien, einen sicheren, raschen und ungehinderten humanitären Zugang zur Bevölkerung zu ermöglichen und zu erleichtern und gleichzeitig die Sicherheit und Bewegungsfreiheit des humanitären Personals und der UNO-Mitarbeitenden zu gewährleisten. Unter besonderer Erwähnung des nationalen oder lokal rekrutierten Personals soll insbesondere der Schutz derjenigen Mitarbeitenden bekräftigt werden, die am stärksten Bedrohungen und Gewalt ausgesetzt sind. Die Resolution befasst sich auch mit der Straflosigkeit und der unzureichenden Zusammenarbeit in diesem Bereich und fordert den Generalsekretär auf, innerhalb von sechs Monaten Empfehlungen für Massnahmen zur Verhinderung von Angriffen auf humanitäres und UNO-Personal, zur Reaktion darauf und zur Gewährleistung der Rechenschaftspflicht abzugeben. Schliesslich bittet sie den Generalsekretär, den Rat auf jährlicher Basis zu informieren.
Hybride Formen der Kriegsführung, wie beispielsweise Desinformation, stehen mittlerweile auch an der Tagesordnung in bewaffneten Konflikten. Trägt die Resolution auch diesem Aspekt Rechnung?
Abteilung Frieden und Menschenrechte: Desinformation und Manipulation von Information sind nicht neue Phänomene, aber die neuen Technologien wie zum Beispiel künstliche Intelligenz erhöhen ihre Wirkung und Verbreitung. Dies ist speziell der Fall im Kontext von Friedensmissionen. Wie die Resolution unterstreicht, können Desinformationskampagnen das Vertrauen in das humanitäre Personal, das Personal der UNO und Lokalpersonal untergraben und sie in Gefahr bringen. Diese Entwicklungen haben auch negative Auswirklungen auf die Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten. Die Resolution ermutigt die Staaten und die UNO entsprechende Massnahmen zu ergreifen, um diesen Phänomenen zu begegnen, um das humanitäre Personal zu schützen.
Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit ist auch mit humanitärer Hilfe in verschiedenen Kontexten aktiv. Was bedeutet die Verabschiedung der Resolution für die DEZA?
Julia Ismar: Die Mehrzahl der Kontexte, in denen sich die DEZA mit humanitärer Hilfe engagiert, sind geprägt von bewaffneten Konflikten. In diesen Situationen sind wir auf die Zusammenarbeit mit den Konfliktparteien, auf Zugang zu den betroffenen Menschen und natürlich auf die Sicherheit unserer Kollegen und Partner angewiesen. Das ist eine Grundvoraussetzung, um vor Ort tätig zu sein und um Schutz und humanitäre Hilfe für betroffene Menschen leisten zu können und entspricht dem geltenden Humanitären Völkerrecht. Dass der Sicherheitsrat die relevanten Normen mit dieser Resolution politisch bekräftigt hat, ist alles andere als trivial – die hohe Zahl der Opfer unter humanitären Akteuren in aktuellen Konflikten zeigt, wie wichtig ein gemeinsames und entschlossenes Eintreten für das humanitäre Völkerrecht ist. Besonders hervorzuheben ist die explizite Erwähnung von nationalem und lokalem Personal und nationalen humanitären Akteuren im Resolutionstext. Nationale Kollegen sind das Rückgrat der humanitären Hilfe – und sind daher häufig auch extrem exponiert.
Die Schweiz hat diese neue Resolution eingebracht. Wie ist die Schweiz dabei vorgegangen? Wie muss man sich die Arbeit in New York vorstellen?
Vincent Conus: Wir sind von einer einfachen, aber sehr beunruhigenden Feststellung ausgegangen: der Zunahme von Gewalt und Angriffen auf humanitäre Akteure in der ganzen Welt, wodurch die humanitären Aktivitäten gefährdet werden. Die Schweizer Resolution spiegelt diese Dringlichkeit wider und ist eine Antwort darauf. Diese Situation erfordert eindeutig die Aufmerksamkeit des Rates.
Wir begannen Ende März mit den Verhandlungen über diesen Resolutionsentwurf, wobei wir das Interesse der Mitglieder an diesem wichtigen Thema feststellten und den Schwung nutzten. Wir bemühten uns daher, diesem Ziel, dieser Absicht des Rates bestmöglich zu dienen, indem wir die langjährige Erfahrung der Schweiz im Bereich der humanitären Hilfe, ihr Engagement für den Schutz von Zivilisten in Konflikten und ihr Fachwissen im Bereich des humanitären Völkerrechts nutzten. Andererseits konnten wir auf die starke Unterstützung der anderen neun gewählten Mitglieder zählen und so dem Rat ermöglichen, durch die Verabschiedung dieser Resolution und ein starkes Signal auszusenden. Die Resolution erhielt auch breite Unterstützung von ausserhalb des Rates und von humanitären Akteuren, mit denen wir uns weiterhin eng abstimmten.
Welche Rolle spielte die Abteilung UNO für die Verabschiedung der Resolution?
Barbara Gonzenbach: Das Sicherheitsrats-Team koordiniert in Bern alle Geschäfte im UNO-Sicherheitsrat. Wir haben den Textentwurf der Resolution sowie die Kommentare der UNO-Sicherheitsratsmitglieder mit den interessierten Diensten hier in Bern diskutiert und für jede Verhandlungsrunde eine Instruktion an unsere Kolleginnen und Kollegen in New York geschickt. Der Zeitunterschied zwischen New York und Bern kam uns dabei entgegen: Die Mission übermittelte uns über Nacht die neusten Entwicklungen und wir hatten hier jeden Morgen einen Zeitvorsprung, um die Rückmeldungen zusammmenzustellen.
Simona Dörig: Unter anderem spielten hier vor allem die Direktion für Völkerrecht, die Abteilung Frieden und Menschenrechte, die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit, sowie die Schweizer Mission in Genf und auch das Staatssekretariat für Sicherheitspolitik des VBS eine aktive Rolle. Die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Diensten ist nach fast eineinhalb Jahren Einsitz im Sicherheitsrat sehr gut eingespielt.
Welche Verbindung besteht zwischen dieser Resolution und dem 75. Jahrestag der Genfer Konventionen?
Janique Thöle: Die Resolution hebt die Regeln des humanitären Völkerrechts (HVR) hervor, die das Personal der humanitären Hilfe und der Vereinten Nationen sowie ihre Räumlichkeiten und ihr Eigentum schützen. Sie bekräftigt den Schutz, den diese Personen als Zivilisten geniessen, und verurteilt auch entschieden alle Angriffe und Formen von Gewalt gegen sie. Ohne neue Verpflichtungen zu schaffen, verlangt die Resolution von Konfliktparteien, ihren Verpflichtungen im Rahmen des humanitären Völkerrechts nachzukommen. Die Parteien müssen unter allen Umständen und zu jeder Zeit das HVR einhalten, und zwar auch dann, wenn es keine Gegenseitigkeit gibt. Wer gegen das HVR verstösst, muss mit Massnahmen zur Rechenschaftspflicht rechnen, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene.
In diesem Jahr begehen wir das 75-jährige Jubiläum der Genfer Konventionen, die den Grundstein des Völkerrechts bilden und unsere gemeinsame Menschlichkeit widerspiegeln. Da sie universell ratifiziert wurden, sind sie heute relevanter denn je. Um Leben zu retten, ist ihre Umsetzung von entscheidender Bedeutung.
Welche Rolle hat die humanitäre Tradition der Schweiz für diese Resolution gespielt?
Vincent Conus: Die lange humanitäre Tradition der Schweiz und ihr Engagement für das Völkerrecht sind im Sicherheitsrat anerkannt. Die Tatsache, dass die Schweiz diese Initiative anführt, wurde daher als natürlich und begrüssenswert wahrgenommen. Da wir dieses Jahr den 75. Jahrestag der Genfer Konventionen und den 25. Jahrestag der Anerkennung des Schutzes der Zivilbevölkerung durch den Sicherheitsrat als Teil seiner Agenda feiern, ist es entscheidend, das Engagement des Rates für das humanitäre Völkerrecht zu bekräftigen, insbesondere vor dem Hintergrund der zahlreichen Krisen, mit denen die Welt konfrontiert ist – eine Situation, die es seit der Gründung der Vereinten Nationen noch nie gegeben hat.